8 Schritte, ein Buch zu beginnen und zu beenden

Schreiben ist nicht leicht. Und ich meine damit nicht, dass es schwer ist, etwas Gutes zu schreiben. Das ist zwar auch nicht leicht, soll aber hier nicht das Thema sein. Ich meine damit, dass es schwierig ist, sich hinzusetzen und zu schreiben. Das hört sich vielleicht paradox an, wenn man so etwas auf dem Blog eines Autors liest, der scheinbar nichts anderes tut, als zu schreiben. Aber Fakt ist, dass das Schreiben – vor allem das Schreiben eines Buches – oftmals an mangelnder Selbstmotivation scheitert.

Die Problematik

Überwiegend handelt es sich bei Buchprojekten nicht um Auftragsarbeiten, sondern um Projekte, die aus Eigeninteresse entstanden sind.  Das bedeutet zwar zum einen, dass genügend intrinsische Motivation (evtl. auch extrinsische) vorhanden sein sollte. Wer aber denkt, dass es deswegen ein Leichtes sein müsste, das Buchprojekt auch in die Tat umzusetzen, unterschätzt den Umstand, dass Ziele und Fristen selbst festgelegt und leicht zu brechen sind. Und selten wird zum Schreiben eine fokussierte, dedizierte Umgebung zur Verfügung stehen – selbst diejenigen, die das Glück haben, ein Büro oder einen eigenen Schreibraum zu haben, werden dadurch wahrscheinlich nicht vor Ablenkungen gefeit sein. Das Gerät, an dem man schreibt, hat einen Internetzugang und wird auch noch für andere berufliche oder private Zwecke genutzt. Da ist es naheliegend, zwischendurch nach neuen E-Mails zu schauen, wenn es beim Schreiben einmal nicht flüssig vorangeht, und siehe, da gibt es neue Benachrichtigungen und Neuigkeiten von Facebook-Freunden! Und gezwitschert wird auch allüberall gar Wunderliches, wahnsinnig spannendes Zeug. Da kann man doch mal ein paar Minuten… Und aus den paar Minuten wird eine halbe Stunde, wird ein halber Abend.

Hinzu kommt, dass es keinerlei verbindliche Vorgaben gibt dahingehend, wie lang ein Buch sein sollte, welche Erzählperspektive die am besten geeignete ist, wie viele Figuren die Geschichte braucht, wie realistisch die Handlung, die Charaktere, die Dialoge sein müssen und alles. Man kann aus einem Meer unendlicher Möglichkeiten wählen, und niemand sagt einem, ob die jeweils eine getroffene Entscheidung unter den unzähligen vorhandenen, wenn schon nicht die allerbeste, so doch zumindest einigermaßen gut gewählt war. Mit einer solch absoluten Entscheidungsfreiheit muss man erst einmal umgehen können. Ich für mein Teil komme dabei ein ums andere Mal ins Straucheln. Und erst nach vorläufiger Fertigstellung des Ganzen zeigt es sich, ob die Geschichte wirklich funktioniert oder ob man zu oft weniger gute Entscheidungen getroffen hat.

Diese Probleme verbinden sich zu einer Aufgabe, die sich beinahe dagegen zu sträuben scheint, bewältigt zu werden. Wenn Autorinnen und Autoren mit einem Projekt beginnen, haben sie das vage Ziel vor Augen, ›ein Buch zu machen‹. Was aber ist überhaupt ein Buch? Selbst dahingehend werden sich die Antworten unterscheiden.

Der Lösungsansatz

Und trotzdem gibt es all diese genialen Bücher in den Regalen. Tausende und Millionen. Nicht alle davon genial, aber viele doch lesenswert. Es haben also nicht wenige Menschen geschafft, ihre Buchprojekte zu Ende zu führen. Sie haben Mittel und Wege gefunden, ihre eigenen Methoden entwickelt, sich die Zeit genommen, um ein Wort nach dem anderen zu setzen, Wörter wieder zu löschen bzw. zu streichen, Abschnitte umzuschreiben, bis sich dann irgendwann das Gefühl einstellte, dass das Buch fertig sei.

Und darum heißt es, sich anzuschauen, was bei anderen bereits funktioniert hat, um sich womöglich einiges davon abzugucken und sich das eigene Leben etwas zu erleichtern. Zu diesem Zweck möchte ich in diesem Artikel einen achtstufigen Schreibplan vorstellen, der die Autorin oder den Autor dahin bringt, wo sie respektive er naturgemäß hingehört: an den Schreibtisch, dort wahlweise an den Stift oder an die Tastatur, bei zweitem dann wahlweise einer Schreibmaschine oder eines Rechners. Hauptsache: Schreiben.

Das mag anstrengend klingen, und das wird es wohl auch sein, aber folge diesen Ratschlägen, und ich bin mir sicher, dass es auch Dir gelingen wird, Dein Buch von der bloßen Vorstellung in die Welt der Tatsachen übergehen zu lassen.

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Schritt 1 – Strenge Regeln

Der erste Schritt des Prozesses besteht darin, zu akzeptieren, dass Du strenge Regeln benötigst. Unsere Gehirne können unsere schlimmsten Feinde sein – sie sind genauso schlau wie wir und oft versuchen sie, uns zu etwas zu überreden, von dem sie wissen, dass wir es ohnehin gerne machen wollen. Das bedeutet, dass es immer wieder Momente geben wird, in denen man ehrlich glaubt, dass es eine gute Idee sei, jetzt etwas anderes zu tun als zu schreiben. Damit möchte ich nicht sagen, dass es nicht tatsächlich hin und wieder wichtig sein könnte, andere Dinge zu tun. Aber es ist wahrscheinlich nicht so oft der Fall, wie es uns unser Gehirn weismachen möchte.

Die Annahme dieser Einsicht ist wahrscheinlich der wichtigste Teil des ganzen Prozesses, nämlich: Du kannst Dir selbst nicht trauen. Natürlich, Du möchtest dieses Buch schreiben, und das meinst Du auch ehrlich. Aber möchtest Du das auch mit aller Konsequenz, die damit verbunden ist? Was, wenn es unbequem wird? Was, wenn Du gar ein Risiko eingehen musst? Bist Du bereit, in anderen Bereichen Abstriche zu machen, wenn es erforderlich ist, um das Buch zu schreiben? – Und es wird erforderlich sein.

Man muss das Schreiben als seinen Job begreifen. Bei einem ›normalen‹ Job würde man darauf achten, pünktlich zur Arbeit zu kommen. Man würde sich nicht am Abend vorher betrinken, wenn man am nächsten Morgen eigentlich fit am Arbeitsplatz sitzen sollte, man würde sein Arbeitspensum fertigkriegen, um beim nächsten Meeting nicht wie ein Idiot dazustehen. Man würde alles tun, um nicht gefeuert zu werden. Immer vorausgesetzt, man mag seinen Job. Das Problem mit dem Schreiben ist, dass es kaum jemand bemerken wird, wenn Du Deiner Arbeit nicht in ausreichendem Maße nachkommst. Du wirst als freie(r) SchriftstellerIn auch nicht gefeuert. Und wenn Du noch keine Fanbase hast, weil es Dein erstes Buch ist, an dem Du arbeitest oder nicht arbeitest, wird es wahrscheinlich noch nicht einmal irgendjemanden interessieren. Es gibt (zumindest bei dem ersten Buch) wenig bis gar keine Motivation von außen. Die Versuchung, etwas anderes zu tun, wird stark sein, und ohne strenge Regeln, an die Du Dich diszipliniert hältst, ist die Gefahr groß, dass Du aufgeben wirst. Du kannst nicht darauf vertrauen, dass dein zukünftiges Selbst produktiv ist. Wenn Du ein Buch fertigschreiben willst, stelle Regeln auf.
Strenge Regeln können destruktives Verhalten stoppen oder zumindest verringern. Das „strenge“ in „strenge Regeln“ bedeutet, dass man sich Grenzen setzt, die man nie brechen wird.

Nie? – Nie. (Natürlich, wenn jemandes oder Dein eigenes Leben davon abhängen sollte, ist eine Ausnahme gestattet…) Denn auf gute Ausreden folgen später schlechte Ausreden, um sich selbst vom Schreiben abzuhalten. – Egal, wie gut die erste Ausrede ist, die man hat, um eine Regel zu brechen: Der Akt des Brechens verändert das System, und es wird nicht beim einmaligen Brechen der Regel bleiben. Eine Regel, die nie gebrochen wurde, hat eine weitaus größere Macht zur Regulation als eine Regel, die schon einmal gebrochen worden ist.

Mit dieser Tatsache geht die Verantwortung einher, sich ›vernünftige‹ Regeln zu setzen. Was sind vernünftige Regeln? – Regeln, die man nicht brechen muss. Es ist wichtig, die Regeln auf der Basis dessen aufzustellen, was Du in Deinem Leben wirklich praktisch umsetzen kannst.

Wenn man beispielsweise eine Familie hat, kann man sich nicht vollständig nur auf die Arbeit an seinem Manuskript konzentrieren. Natürlich ist im Zweifelsfall die Beschäftigung mit den eigenen Kindern wichtiger als das Schreiben am Buch. Und natürlich muss man Dinge tun, um Geld zu verdienen, wenn das Schreiben selbst noch nicht genug abwirft, um davon zu leben. Und selbstverständlich darf man auch die Katzen und Hunde im Haus nicht verkommen lassen. Und so gibt es immer Dinge im Leben, denen man sich widmen und die man mit der Arbeit am eigenen Buch vereinbaren muss.

Darüber hinaus können auch immer Unwägbarkeiten auftreten und den aufgestellten Regeln in die Quere kommen. Andere Projekte können sich dazwischenschieben, familiäre oder andere soziale Verbindlichkeiten können einen in Anspruch nehmen, oder vielleicht verliebt man sich überraschend und möchte die ganze Zeit über nur noch mit dem anderen geliebten Menschen zusammen sein oder ihm hinterher stalken. Es kann notwendig werden, die ansonsten gültigen Regeln zu missachten. Doch bevor man die Regeln bricht, sollte man genau abwägen, ob es wirklich notwendig ist. Man sollte sich vergegenwärtigen, dass eine einmal gebrochene Regel kaum wieder ihre alte Verbindlichkeit zurückerlangen kann. Daher ist es wichtig, genau zu überlegen, welche Regeln Du aufstellst, nach Maßgabe dessen, was Du wahrscheinlich einhalten können wirst. Überlege, welche Arten von Regeln du treffen solltest, und bedenke, dass sie darauf basieren müssen, was du handhaben kannst.

Also, was jetzt? Man entscheidet sich für ein paar Regeln und fängt dann an zu schreiben? Hat man dadurch schon Voraussetzungen geschaffen, um die Arbeit zu erledigen? – Nun, es wird helfen, aber wir sind noch nicht fertig…

Schritt 2 – Eine Kontrollinstanz erschaffen

Wie ich oben erwähnt habe, kannst Du nicht darauf bauen, dass Dein zukünftiges Selbst immer produktiv sein möchte. Egal, wie eisern Dein Wille derzeit ist, es wird schwer sein, die Motivation die ganze Zeit über aufrechtzuerhalten. Ein Buch zu schreiben, ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Darauf zu vertrauen, dass Du Dich auch in Zukunft daran erinnern wirst, wie ernst Dir Dein Buchprojekt war, ist gut und schön, aber Du kannst noch mehr tun. Verbindliche Regeln sind nützlich, weil sie außerhalb unserer wechselnden Stimmungen und Denkprozesse existieren. Sie können als Konstanten bezeichnet werden, die weitgehend unabhängig sind von den internen Vorgängen der Autorin bzw. des Autors. Für manche Autorin oder manchen Autor kann es vielleicht hilfreich sein, diese Regeln noch weiter zu externalisieren und auf diese Weise noch autarker von unserem fehlerhaften menschlichen Verstand zu machen.

Die Logik dahinter ist, sich einer Fähigkeit zu bedienen, über die kaum jemand im gleichen Maße verfügen dürfte wie Schriftsteller: Figuren zu erschaffen.

Erschaffe eine externe, fiktive Figur, die möchte, dass Du das Buch schreibst. Diese Figur ist die Verkörperung der strengen Regeln, und ihr ultimatives Ziel ist es, dass Du etwas schreibst. Es mag albern erscheinen, diese Figur zu erschaffen, und es muss auch nicht zwingend für jede(n) Autor(in) die richtige Methode sein, aber es ist eine gute Übung, die Dir erlaubt, Deine Regeln außerhalb des Kontexts zu betrachten. Stelle Dir diese Figur als einen strengen, aber gerechten Mentor vor, dem einzig daran gelegen ist, Dich und Dein Schreiben voranzubringen. Und wenn Du Deine Regeln brechen möchtest – aus welchem guten oder schlechten Grund auch immer –, wirst Du diesen Mentor davon überzeugen müssen, dass Dein Grund hinreichend ist. Dieser Mentor aber wird die Prioritäten anders setzen als Dein für Ablenkungen anfälliges Selbst.

Damit diese Kontrollinstanz wirklich effektiv ist, ist es hilfreich, sie bildhaft auszugestalten. Gib der Figur eine einzigartige Stimme, einen durchdringenden Blick, vielleicht einen überaus bauschigen Schnäuzer. (Oder denke an »Karate Kid« und Pat Morita.)

Es kann nützlich sein, die Vorstellung von dieser Figur auf eine reale Person zu stützen, die Du im wirklichen Leben bereits als Autorität betrachtest – auf diese Weise wird es Dir leichter fallen, auch die fiktive Figur, auf die Du die Charakterzüge überträgst, als Leitbild anzuerkennen.

Man kann aber auch den umgekehrten Weg versuchen, nämlich anstatt eines Mentors die Figur eines anarchistischen Störenfrieds installieren – einen Teufel auf Deiner Schulter, der als Sprachrohr für jedes Verhalten fungiert, das Deine strengen Regeln bricht. Auch dies hilft, Entscheidungen und Prozesse objektiv zu betrachten. Wenn ein schlüpfriger, gemeiner kleiner Charakter Dich darin unterstützt, die Regeln zu brechen, wirst Du diesen Regelbruch womöglich noch intensiver hinterfragen. Wie bei dem Mentor wird auch hier ein relativ ausgestalteter Charakter effektiver sein. (Man könnte sich sogar vorstellen, dass der Bösewicht der zu schreibenden Geschichte versucht zu verhindern, dass die Geschichte geschrieben wird; oder ein konkurrierender Autor, der genau weiß, dass die Leserinnen und Leser Dein Buch dem seinen vorziehen werden, sobald es geschrieben ist…)

Man kann auch beide Figuren gut miteinander kombinieren. Jedenfalls, wenn man die Argumente für das eigene Verhalten externalisiert, hilft das dabei, rationale Entscheidungen zu treffen, die dem Erreichen des langfristigen Ziels, nämlich die Vollendung des Buchs, angemessenes Gewicht verleihen.

Natürlich sind wir alle verschieden, und es kann sein, dass Du keine negative Figur in Deinem Kopf haben willst, oder Du glaubst, dass es effektiver ist, das alles mit Dir selbst auszumachen, ohne Hilfsfiguren zu konstruieren. Es ist auch möglich, dass diese Denkweise für Dich schlicht und einfach nicht funktioniert. Um ehrlich zu sein, gehe ich selbst auch nicht so weit, fiktive Figuren zu installieren, um die selbst aufgestellten Regeln einzuhalten. Aber es ist eine Methode, die für manche Autorin und manchen Autor funktionieren kann. Insofern empfiehlt es sich, diese zunächst einmal auszuprobieren, bevor man sich dagegen entscheidet.

Wir haben nun in den Schritten 1 und 2 über die  Idee von strengen Regeln gesprochen und darüber, wie man ihnen die richtige Wirkung gibt, aber wir haben immer noch nicht darüber gesprochen, was diese Regeln sein sollten.

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Schritt 3 – Schreib etwas, einfach irgendetwas

Schreiben, weil Du inspiriert bist, ist großartig, aber es produziert selten ein Buch. Schreiben, auch wenn du nicht inspiriert bist, ist die Voraussetzung dafür, das Handwerk des Schreibens und – vor allem – auch die Lebensweise einer Autorin bzw. eines Autors zu erlernen, die/der es mit dem Schreiben ernst meint. Inspiration ist kein Manna, das vom Himmel fällt – es ist eine Art des kreativen Denkens, und man kann das Gehirn anfälliger dafür machen, indem man gewohnheitsmäßige Situationen schafft, in denen dieser Modus angemessen ist. Mit anderen Worten: man muss das Gehirn trainieren. Der einzige Weg, das zu tun, ist zu schreiben. So wie man Gitarre spielen muss, um das Gitarrenspiel zu erlernen, muss man schreiben, um das Schreiben zu erlernen. Es ist eine denkbar simple Einsicht und das erste, was ein Kurs zum Thema „Kreatives Schreiben“ Dir sagen wird, aber es ist wahr – Du musst schreiben, und zwar regelmäßig und so oft wie möglich.

Anfänglich mag es vielleicht schwerfallen, vom alltäglichen Betrieb in den Schreibmodus zu wechseln, und eventuell bekommt man zunächst nicht immer etwas zustande. Aber je öfter und regelmäßiger man diesen Schritt tut, desto leichter fällt es, die eigene Kreativität zu aktivieren. Alle meine Texte, die vor kurzem als Buch mit dem Titel „Kleine Schubladenprosa“ veröffentlicht worden sind, sowie einige der Erzählungen und Kurzgeschichten, die in meinem Buch „Von Selbstmorden und anderem Zeitvertreib“ zu finden sind, sind als solche Schreibübungen und – wie ich es in einem der Vorworte bezeichne – „schriftstellerische Selbstaktivierung“ entstanden.

Und hat man einen gewissen Grad an schriftstellerischer Selbstaktivierung erreicht, beginnt die Magie. Denn Dein Gehirn ist nun daran gewöhnt zu schreiben und kreativ zu sein, Dinge miteinander zu verknüpfen und ungeahnte Assoziationen herzustellen. Und es weiß, dass Du bald wieder schreiben wirst. Und so beobachtet und betrachtet es alles, was Du am Tag und in der Nacht erlebst unter dem Aspekt literarischer Verwertbarkeit. Eindrücke und Wahrnehmungen (selbst unbewusste) werden gesammelt und gespeichert, um beim Schreiben abgerufen und in eine neue Form und einen neuen Kontext gebracht zu werden. Schreiben führt zum Schreiben. Die einzige Möglichkeit, Dein Handwerk zu verbessern, besteht darin, daran zu arbeiten – und das kontinuierlich und ohne faule Ausreden.

Schritt 4 – Schreibe jeden Tag

Für viele (beginnende) AutorInnen ist der Schreibprozess idealisiert, als ob es derart vonstattenginge, dass man aus einem lebhaften Traum erwacht, sich in der Nacht an den Schreibtisch setzt, 80.000 Wörter in die Tastatur hämmert, und wenn die Sonne aufgeht, ist ein Meisterwerk vollbracht. Manche wenige Leute arbeiten auf diese Weise (vor allem, wenn sie ihr Gehirn trainiert haben), aber für den Rest von uns geht es um schrittweise Fortschritte.

Unser Job (…) ist genauso eine Arbeit wie Rohre verlegen oder Fernlastwagen fahren. Sie müssen nur sicherstellen, dass die Muse weiß, wo Sie jeden Tag zwischen neun und zwölf oder zwischen sieben und drei zu finden sind. –

Stephen King: Das Leben und das Schreiben.

Natürlich ist das für professionelle Autoren leicht zu sagen. Ich habe im ersten Absatz gesagt, dass Schreiben schwer ist. Aber auch das Leben kann schwer sein. Viele Menschen haben keine Zeit, sich jeden Tag dem Schreiben eines Kapitels zu widmen, aber hier kommen die eigenen realistischen strengen Regeln ins Spiel. Wenn Du nicht jeden Tag Seite für Seite schreiben kannst, schreib ein paar hundert Worte. Wenn Du nicht jeden Tag schreiben kannst, dann schreib jeden zweiten Tag, aber stelle sicher, dass Du dran bleibst. Ernest Hemingway schrieb bekanntlich 500 Wörter pro Tag, das ist nicht sonderlich viel. Aber er tat es Tag für Tag und kam auf diese Weise kontinuierlich voran. Das ist es, was es braucht.

Es ist eine Frage der Prioritäten. Niemand auf der Welt sagt Dir, dass Du ein Buch schreiben musst, und niemand verurteilt Dich, wenn Du es nicht tust. Aber wenn Du es wirklich willst, musst Du regelmäßig schreiben und dran bleiben. Manchmal gibt es einfach nicht genug Stunden am Tag. Aber jeden dritten Tag sollte man wirklich mindestens an seinem Projekt arbeiten, um das Gehirn gewohnheitsmäßig schreiben zu lassen.

Schau Dir Dein Leben an, denke wirklich darüber nach, was möglich ist, und stelle dann strenge Regeln auf, die Dich auf den Weg zur Fertigstellung Deines Manuskripts bringen. Und wenn Du nun sagst: ›Es ist in meinem Leben aber einfach keine Zeit, um regelmäßig zu schreiben‹, so fällt es mir schwer, das zu glauben. Es klingt eher nach einer Ausrede bzw. für eine andere Formulierung von ›So dringend möchte ich das Buch nun auch wieder nicht schreiben – wäre zwar schön, aber wenn man sich dafür so sehr anstrengen muss…‹. Wir haben alle viel zu tun und eigentlich keine Zeit, aber notfalls schläft man dann eben ein paar Stunden weniger pro Nacht. So mache ich das zum Beispiel.

Schritt 5 – Arbeite mit ›Schreib-Cliffhangern‹

›Schreib-Cliffhanger‹ funktionieren für Schreibende im Prinzip ganz ähnlich wie ›Lese-Cliffhanger‹ für Lesende. Der Unterschied liegt darin, dass beim Lesenden der Sog des Cliffhangers dadurch entsteht, dass man gerne wissen möchte, was als nächstes geschieht, während beim Schreibenden der Sog gerade dadurch entsteht, dass er bereits weiß, was als nächstes geschehen soll und dies nun auch zu Papier bringen möchte. Wenn Du Dich mitten im Schreibprozess befindest und an einer Passage arbeitest, die Dich beim Schreiben antreibt, weil Du von der Idee überzeugt bist und genau weißt, was noch passieren soll, so dass Dich alles zur literarischen Umsetzung drängt, kann es nützlich sein, diese Passage nicht bis zum Ende abzuarbeiten, sondern schon vorher aufzuhören, um bei der nächsten Schreibphase durch die Wiederaufnahme der unvollendeten Passage umso leichter wieder in den Schreibfluss zu kommen.

Eine andere, aber grundsätzlich sehr ähnliche Spielart des ›Schreib-Cliffhangers‹ ist es, nicht vor dem Abschluss einer Passage bzw. eines Abschnitts die jeweilige Schreibphase zu beenden, sondern den Abschnitt zu Ende zu schreiben und nach Möglichkeit bereits den nächsten Abschnitt ›anzulegen‹. D. h., man schreibt die neue Passage bis zu einem Punkt, an dem man genau weiß, was als nächstes geschehen soll, und stellt das Schreiben an dieser Stelle vorerst ein, um beim nächsten Mal hier wieder neu anzusetzen und leicht wieder in den Fluss zu finden.

Je nach fortgeschrittener Uhrzeit und der Zeit, die noch zum Schreiben bliebe, empfiehlt sich entweder die eine oder andere Form des ›Schreib-Cliffhangers‹. Beide Varianten vermeiden die Gefahr, die darin liegen kann, wenn man einen Abschnitt beendet und damit zugleich auch die jeweilige Schreibphase, nämlich dass man sich jedes Mal aufs Neue einer tabula rasa gegenübersieht. Das macht es erheblich schwieriger, wieder in den Schreibfluss zu finden, als wenn man an etwas noch nicht Beendetes oder etwas bereits Begonnenes anschließen kann. Man kann sogar beide Varianten miteinander kombinieren: Einen Abschnitt noch offen lassen zur Beendigung in der nächsten Schreibphase und in der noch verbleibenden Zeit bereits einen neuen Abschnitt anlegen – oder sogar etwas komplett anderes schreiben.

Die grundsätzliche Regel lautet jedenfalls: Höre auf zu schreiben, wenn Du noch weiterschreiben willst – der Drang zu schreiben wird noch weiter anwachsen und Dich bei der Wiederaufnahme des Schreibens weiter antreiben.

Auf diese Weise kann man sich nicht nur dazu anhalten, jeden Tag zu schreiben, sondern entwickelt sogar eine Technik, um die Schreibenergie zu potenzieren.

Schritt 6 – Unterteile Dein Schreiben

Das, was wir ›Schreiben‹ nennen, besteht – wenn man allein das beobachtbare und benennbare Handwerk betrachtet – im Wesentlichen aus drei Elementen: Plotten (sofern man plottet), Schreiben und Editieren. Von den dreien macht das Plotten vielleicht am meisten Spaß, und das Überarbeiten ist am anstrengendsten. Beiden gemein ist, dass sie gleichermaßen dem dritten Element, namentlich dem Schreiben, in die Quere kommen können. Manche Autorin verliert sich im Plotten, mancher Autor kommt, einmal angefangen, nicht mehr aus dem Überarbeiten des bereits Geschriebenen heraus (und umgekehrt). Es kann sein, dass hierin eine der Hauptursachen zu suchen ist, warum Autorinnen und Autoren ihre Werke nicht beenden.

Plotten macht Spaß. Es ist, als würde man sich eine Geschichte erzählen, und jede Entwicklung ist frisch und neu – und es ist leicht, sich davon zu überzeugen, dass man es tun muss, bevor man den Stift ansetzt und erste Worte aufs Papier bringt bzw. die Hände auf die Tastatur legt und erste Worte in den Rechner tippt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Überarbeiten. Man hat das deutliche Gefühl, dass das bereits Geschriebene noch besser sein könnte oder müsste, und beginnt, um Worte und Formulierungen zu ringen, zu kürzen, zu streichen, umzustellen und neu zu strukturieren. Und ehe man sich versieht, versteht man gar nicht mehr, worum es eigentlich gehen sollte, und die Motivation zu schreiben ist irgendwo unter dem Steinbruch des Editierens begraben.

Es ist daher wichtig, den Schreibprozess klar zu unterteilen.

»Schreibe jeden Tag« bedeutet: schreibe neue Wörter. Das Bearbeiten kann warten, bis Du etwas hast, das lang genug ist – im Idealfall bis zur Fertigstellung des Manuskripts. Und das Plotten kann in einer bestimmten Zeit oder in den Momenten ausgeführt werden, in denen Du nicht schreiben kannst. Dies sind die Dinge, die Du wöchentlich oder monatlich tun kannst, indem Du Abende oder sogar ganze Tage für das Verbessern dessen, was Du geschrieben hast, einplanst.

Bleibe nicht beim Plotten und Editieren hängen. Sie sind kein Ersatz für neu geschriebene Wörter. Schreibe jeden Tag, denke über deine Handlung nach, bearbeite hin und wieder das Geschriebene, aber betrachte die drei Elemente als das, was sie sind: unterschiedliche Aktivitäten. Don´t get lost in plotting (or editing).

Schritt 7 – Ziele setzen und verändern

Ich habe eingangs gesagt, dass das Schreiben fast darauf abzuzielen scheint, AutorInnen daran zu hindern, Fortschritte zu machen. Ein Teil des Problems war, keine festgelegte Struktur zu haben (was wir besprochen haben), und ein Teil davon war, keine externe Autorität zu haben, die dafür sorgt, dass man bei der Stange bleibt (welche wir versucht haben zu erschaffen), aber eines der größten Hindernisse für eine(n) Autor(in) ist, keine konkreten Ziele zu haben.

Wenn man nicht gerade im Auftrag eines Dritten schreibt oder bereits ein(e) erfolgreiche(r) AutorIn ist, die/der versucht, ihren/seinen nächsten Bestseller zu liefern, wird man sich diese Ziele selbst setzen müssen. Das ist der Nachteil, wenn man alle Freiheit der Welt besitzt. Diese Ziele sind extrem variabel, und es fehlt vielleicht auch die Verbindlichkeit, die dafür sorgt, dass man die gesetzten Ziele dann konsequent verfolgt.

Die Antwort auf dieses Problem ist auch hier, etwas außerhalb des eigenen Kopfes zu erschaffen, das einen darin unterstützt (oder sogar unter Druck setzt), diese Ziele zu erreichen. So zum Beispiel kann man sich eine bestimmte Wortanzahl vorgeben oder sich zum Ziel setzen, einen bestimmten Teil der Geschichte zu erreichen.

Man kann die Ziele gewissermaßen als eine Weiterführung der vorher aufgestellten ›strengen Regeln‹ betrachten bzw. als deren Kontextualisierung. Wenn eine der Regeln z. B. besagt, dass man jeden Tag 500 Wörter schreiben muss, so kann die Umsetzung dieser Regel für sich betrachtet schnell ermüden und man läuft leichter Gefahr, diese Regel zu brechen, weil möglicherweise vorübergehend der Sinn des Ganzen aus den Augen verloren wird. Steht diese Regel aber im Zusammenhang mit dem übergeordneten Ziel, im Monat 15000 Wörter zu schaffen, bekommt sie mehr Bedeutung. Wenn man sich nämlich jetzt vor Augen führt, dass 15000 Wörter schätzungsweise etwa 90000 Zeichen entsprechen und diese wiederum etwa 60 Normseiten, so kann man sich ausrechnen, dass man auf diese Weise nach ca. fünf Monaten ein Romanmanuskript mit Standardumfang fertiggestellt haben kann.

Schritt 8 – Jetzt anfangen zu schreiben

Wenn das Schreiben keine der üblichen Mechanismen liefert, die uns dazu bringen, eine Aufgabe zu erfüllen, dann müssen Autorinnen und Autoren diese Disziplin für sich selbst schaffen. Wenn Du Probleme hast, ein Projekt zu beginnen oder fortzusetzen, dann helfen die obigen Schritte, aber der sicherste Weg, um die Situation zu ändern, ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen, wie Du jetzt bist und was Du jetzt tust. Genau in diesem Moment sitzt Du am PC oder Mac oder guckst auf Dein Smartphone und liest diesen Beitrag. Wenn Du das nicht gerade während Deiner Arbeitszeit tust, so dass Dein Arbeitgeber nicht erbaut wäre, wenn er es erführe, dass Du etwas anderes machst, anstatt zu arbeiten, dann solltest Du jetzt schleunigst zu Deinem eigenen Arbeitgeber werden und die Autorin oder den Autor anweisen, an die Schreibarbeit zu gehen, anstatt die Zeit zu verplempern mit dem Lesen irgendwelcher Beiträge auf irgendwelchen Blogs. Damit das Buch endlich fertig wird.

4 Gedanken zu „8 Schritte, ein Buch zu beginnen und zu beenden

  1. Danke für deine Tipps. Am motivierendsten finde ich: „Jetzt anfangen zu schreiben“. Denn ich denke oft, erst muss das noch fertig sein und dann brauche ich noch dies und jenes, aber eigentlich hätte ich in der Zeit schon schreiben können – und wenn es nur eine oder zwei Seiten sind. Danke!

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  2. Sehr interessant, das motiviert mich. Vielen Dank dafür.
    Weil ich mich kenne und weiß, dass strenge Regeln Reaktanz als Antwort bekämen, habe ich eine einzige Regel aufgestellt – und die hat viel Freiraum: Zu einem bestimmten Wochentag einen bestimmten Themenabschnitt. Das funktioniert für mich sehr gut.

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    1. Ja, jede(r) muss da für sich selbst den richtigen Weg finden, wie man sich zu kontinuierlichem Arbeiten anhalten kann. Manche brauchen viele Regeln, manche wenige, manche sehr strenge, manche etwas flexiblere… Gut, dass Du das Richtige für Dich gefunden hast.

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