Wie viele Figuren soll ich verwenden?

Charaktere sind das Herzstück einer Geschichte, der Motor, der sie antreibt, und das Merkmal, das dem Leser am längsten im Gedächtnis bleibt. Weil dieser elementare Bestandteil Ihrer Geschichte einen derart großen Einfluss hat, sollten Sie sich über Ihre Verwendung von Charakteren bewusst sein. Ein charismatischer Charakter kann ikonisch sein, drei können brillant sein, fünf hingegen könnten eventuell keinen Platz mehr für irgendetwas anderes in der Geschichte lassen. Wenn Sie ein umfangreiches Fantasy-Epos schreiben, wird diese Grenze möglicherweise auch erst bei zehn oder zwanzig charismatischen Charakteren erreicht. Aber ich denke, Sie haben das Prinzip verstanden, auf das ich hinauswill.

Wie viele Charaktere sollte Ihre Geschichte also haben? Es kann zwar keine definitive Zahl angegeben werden, aber es gibt einige relativ konkrete Regeln, um zu entscheiden, wie viele Figuren Sie verwenden sollten. Zunächst einmal empfiehlt es sich, zwischen den Formen möglicher Figuren zu unterscheiden.

 

Die drei Arten von Charakteren

  1. Die Hauptfiguren bestimmen die Geschichte. Es sind ihre Motivationen und Ziele, die die Handlung vorantreiben, und ihre Präsenz, die die Erfahrung der Leserinnen und Leser mit der Geschichte bestimmt.
  2. Sekundäre Figuren unterscheiden sich in ihrer Komplexität, tragen aber oft wesentlich zur Handlung bei, indem sie in die Geschichte ein- und wieder austreten und auf die Hauptfiguren treffen. Sie mögen interessant sein, aber der Fokus der Leserinnen und Leser folgt ihnen nicht.
  3. Tertiäre Figuren sind Hilfsmittel. Sie bevölkern die Welt der Geschichte und besetzen notwendige Rollen: Eine Hauptfigur, die Herrscher über ein Land in einer mittelalterlich anmutenden Fantasy-Geschichte ist, braucht zum Beispiel jede Menge Untertanen: Bauern, Handwerker, Soldaten, Mägde, Konkubinen. Die gibt es alle irgendwo in dieser Welt, und manchmal werden sie in der Geschichte erwähnt – wenn auch selten namentlich.

 

Üben Sie sich in Minimalismus

Die eigentliche Antwort auf die Frage »Wie viele Figuren soll ich verwenden« ist: »So wenig wie nötig«. Beachten Sie, dass dies nicht das Gleiche ist wie »so wenig wie möglich«. Es ist möglich, eine Geschichte ganz ohne Figuren zu schreiben. Ob es sich dann noch um eine Geschichte im eigentlichen Sinn handelt, sei dahingestellt. Ich nehme außerdem an, dass Sie nicht vorhaben, ein Buch ganz ohne Figuren zu schreiben. Und dann gilt für Sie, die minimale Anzahl von Charakteren zu verwenden, die notwendig sind, um Ihre Geschichte funktionieren zu lassen.

Wenn die Taten und die Anwesenheit eines Charakters in einen anderen überführt werden können, dann ist einer von beiden nicht notwendig, und Sie können ihn aus der Geschichte streichen.

Charaktere können sich manchmal vital anfühlen, obwohl sie der Geschichte in Wirklichkeit eher schaden. Dies ist oft der Fall bei ›komischen‹ Figuren, die nur dazu da sind, ein bisschen Witz und Momente der Leichtigkeit in die Geschichte zu bringen. Gegen seltsame und skurrile Charaktere ist überhaupt nichts einzuwenden. Doch diese Wirkung entsteht dadurch, dass ernsthafte Handlungen auf sehr eigenwillige Weise vollführt werden oder aber eigenwillige Handlungen auf sehr ernsthafte Weise. Aber man sollte es vermeiden, etwas Humor in die Geschichte bringen zu wollen, indem man eine lustige Figur erfindet, die sonst keine weitere Aufgabe hat. Die Geschichte würde mehr davon profitieren, diese Rolle in den anderen Charakteren aufzulösen und sie besser abzurunden. Dann wäre ein Großteil der Figuren bis zu einem gewissen Grad seltsam, wodurch sich eine sehr interessante Gesamtatmosphäre in einem Roman erzeugen lässt.

Wenige emotional komplexe Charaktere sind besser als viele einfache Charaktere.

Es kann sein, dass eine bestimmte Anzahl von sekundären und tertiären Charakteren benötigt wird, um eine realistisch besiedelte Welt zu schaffen.

Dies gilt insbesondere für Charaktere, die dazu da sind, Plotpunkte zu bedienen. Ein Charakter, der nur deshalb anwesend ist, damit ihn der Bösewicht töten kann, um den Leserinnen und Lesern zu demonstrieren, wie gefährlich jener ist, wird sich wahrscheinlich als eindimensionales Werkzeug lesen.

 

Einzigartigkeit des Charakters

Abgesehen von den Tertiärfiguren, sollten Sie den Anspruch haben, jeder Ihrer Figuren eine gewisse Einzigartigkeit zu verschaffen. Besonders bei Charakteren, die die Leserinnen und Leser bei einem zweiten Auftritt wiedererkennen sollen, ist es wichtig, einen solchen Wiedererkennungswert durch Einzigartigkeit herzustellen. Die maximale Anzahl von Haupt- und wiederkehrenden Nebencharakteren, die Sie in einer Geschichte verwenden können, entspricht derjenigen Anzahl, die das Lesepublikum noch als einzigartige und unterscheidbare Wesen wahrnehmen kann.

Wie erzeugt man eine solche Einzigartigkeit? – Es reicht nicht aus, den Figuren Namen zu geben, anhand derer man sie dann unterscheiden kann. Charaktere werden – im Leben wie im Roman – vor allem durch ihre Handlungen und Eigenschaften verstanden, nicht durch ihre Namen. Man kann noch nicht einmal Charaktere existieren lassen, allein dadurch, dass man ihnen einen Namen gibt und behauptet, dass sie existent sind. Jeder Charakter muss genügend einzigartige Eigenschaften haben, um sich im Kopf der Leserinnen und Leser zu verankern: Titel, Aussehen, soziale Rolle, biographische Angaben, emotionale Perspektive, evtl. philosophisches Weltbild. Damit eine Figur wirklich lebendig wird, müssen Sie und Ihre Leser eine ganze Menge über sie wissen.

 

Dialog zwischen den Charakteren

Es ist für einen Leser schwierig, einem Dialog zu folgen, der zwischen mehr als drei Figuren stattfindet. Wenn Charaktere streng definierte, mehr oder weniger eindimensionale Persönlichkeiten haben, lassen sich die einzelnen Aussagen möglicherweise anhand der jeweiligen Stimmung oder Haltung hinter dem Gesagten einzelnen Figuren zuordnen. Aber bei komplexen Charakteren sind drei Gesprächsteilnehmer im Allgemeinen das Maximum.

Diese Regel in Hinblick auf den Dialog erzeugt zumindest hinsichtlich der Frage nach der maximalen Anzahl von Charakteren an ein und demselben Ort eine gewisse Restriktion. – Es ist in Ordnung, mehr als drei Figuren an einem Ort zu haben, aber wie viele können es sein, bevor auf drei von ihnen begrenzte Gespräche seltsam erscheinen? Die Ausweitung eines Gesprächs, um vier oder fünf Figuren darin zu berücksichtigen und zu Wort kommen zu lassen, verlängert entweder die Diskussion über eine unterhaltsame Länge hinaus oder beschränkt jeden Charakter auf kurze, unrealistische Kommentare.

Es ist schade, prinzipiell die Möglichkeit zu haben, so viele Charaktere zu verwenden, wie man möchte, und dennoch durch Einschränkungen des Mediums auf drei beschränkt zu sein. Sie können dieses Problem aber ein wenig umgehen, indem Sie Ihre Figuren auf verschiedene Orte aufteilen und über weite Strecken des Romans räumlich voneinander getrennt halten, so dass Sie nicht das Problem bekommen, dass zu viele Ihrer Hauptfiguren an dem selben Gespräch teilnehmen möchten.

 

Abschließend

Charaktere sind der wichtigste Teil Ihrer Geschichte, und Sie werden für jede Sekunde belohnt werden, die Sie darauf verwenden, sie richtig auszuarbeiten. Wie so oft sollten Sie sich hinsetzen und die Details aufschreiben: Identifizieren Sie, was jeden Charakter einzigartig und wichtig macht, und betrachten Sie dann seine Attribute und Erfahrungen. Zu wissen, warum jeder Charakter für die Geschichte notwendig ist, wird alles – vom Plotten bis zum Schreiben von Dialogen – erleichtern und Ihnen helfen zu entscheiden, wie viele Charaktere notwendig sind.

Lesen Sie dazu auch meine Beiträge über Charakterentwicklung beim Protagonisten, Antagonisten sowie Nebenfiguren und den Beitrag »Gute Dialoge schreiben«.

 

2 Gedanken zu „Wie viele Figuren soll ich verwenden?

  1. Das Thema gefällt mir, und ich bin bei dir, wenn es um charakterlichen Tiefgang bei Figuren einer Geschichte geht, aber diesen Satz verstehe ich bei bestem Willen nicht: „Man kann noch nicht einmal Charaktere existieren lassen, allein dadurch, dass man ihnen einen Namen gibt und behauptet, dass sie existent sind.“

    Kannst du das etwas näher erläutern?

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