Ausnahmsweise erlaube ich mir, hier einen eigenen literarischen Text einzustellen. Eigentlich liegt der Schwerpunkt von indieautor.com ja nicht auf der Selbstdarstellung des Blogbetreibers. Aber die beiden veröffentlichten Erzählbände von mir verkaufen sich nur mäßig. Aus Sicht des Verlags sollte ich etwas mehr Werbung dafür machen. Auf Verlagsseite herrscht der deutliche Eindruck vor, dass ich dahingehend etwas träge bin und weit hinter meinen Möglichkeiten zurückbleibe. Was absolut richtig ist. Ich persönlich freue mich einfach schon darüber, dass es diese beiden Erzählbände nun gibt und ich sie mir als Dokumentation meines früheren literarischen Schaffens ins Regal stellen kann. Es sind alles ältere Texte von mir, die sich darin finden, und viel zu tun habe ich mit ihnen nicht mehr. Auch die hier eingestellte Kurzgeschichte ist etwa 13-14 Jahre alt. Trotzdem: Ich habe sie gerade noch einmal gelesen und halte sie noch immer für recht gelungen.
Ich weiß, dass sich viele (zu Unrecht) nicht besonders für Kurzprosa und Erzählungen interessieren (weshalb sich so etwas auch immer schlecht verkauft), sondern immer nur die Große Form des Romans lesen möchten. Aber mein offizielles Roman-Debüt ist noch nicht fertig, und vielleicht findet die eine oder der andere ja auch Gefallen an der etwas skurrilen Komik meiner Kleinen Form.
Ich bitte darum, auch die weiterführenden und überaus wichtigen Informationen im Anschluss des Textes zur Kenntnis zu nehmen. Danke und viel Vergnügen!
Anton Goldberg
Auf der Mauer
»Ich bin ein großer Künstler, ich bin ein großer Künstler«, murmelte Joachim, während der Schnee und das Eis auf der Mauer unter seinen Füßen knirschten. Er schritt den Außenring der Burg ab, eine beeindruckende Festungsanlage, hoch oben auf dem Berg gelegen. Es war Mitte Februar, und es hatte noch einmal ordentlich geschneit. Seit eineinhalb Wochen war er nun jeden Tag hier hinauf gestiefelt, um auf die Stadt, die dort, weit unterhalb des felsigen Steilhangs, lag, hinabzuschauen und seinen Gedanken in der klaren, eisigen Luft nachzuhängen. Und was waren das für Gedanken! − Joachim genoss die Atmosphäre und war dankbar für diese Augenblicke, in denen alles in sich stimmig schien, in denen die Umgebung ihm die passende Szenerie lieferte für seine Inszenierung des nahenden Irrsinns, geboren aus einem alles schwarz färbenden Liebesleid, das ihn umfing.
In seiner Jackeninnentasche trug er eines dieser sehr schön anmutenden Blankobücher, in seiner Außenwirkung auf den ersten, oberflächlichen Blick einem wertvollen mittelalterlichen Buch nicht unähnlich, in einem handlichen Format, und dieses Medium seiner komplexen Innenwelt war bereits bis über die Hälfte gefüllt mit der genialisch-literarischen Aufarbeitung dessen, was ihn hierher getrieben hatte, möglichst weit fort von seiner Heimat, dem Ort, an dem das Schreckliche geschah, dem Ort, an dem man ihm, wie es schien, nichts anderes als Qualen bereiten wollte. Man hatte ihn dort zurück in seine Einsamkeit entlassen. Sich von ihm abgewandt. Sich zunächst emotional, dann auch körperlich von ihm distanziert, oder anders gesagt: seine Freundin hatte sich von ihm getrennt.
Und es schien ihm sehr angemessen, dass er das wohl nicht würde verwinden können. Denn schließlich war er, solange er denken konnte, schon immer von allen und insbesondere von der Frauenwelt verkannt worden. So sehr er sich auch jedes Mal bemüht hatte, ihnen allen zu zeigen, wie besonders er war und was für ein großes Glück sie hatten, mit ihm zu tun haben zu dürfen, so sehr war dieser Versuch auch immer zum Scheitern verurteilt gewesen. Das bestätigte ihm aber nur, was er eigentlich schon seit Urzeiten wusste: Die Leute waren einfach zu dumm. Sie hatten nicht viel im Kopf. Konnten es nicht mit ihm aufnehmen, wenn es um geistige Dinge ging. Traurig war das, wie er fand. So einsam an der Spitze zu stehen.
Aber von ihr hatte er wirklich angenommen, dass sie anders sei. Er hatte gedacht, sie sei eigentlich fast genauso besonders wie er selbst, nahe dran sozusagen, und hätte daher doch erkennen können müssen, was er für einer war. Doch weit gefehlt! Das dumme Ding weigerte sich einfach, ihn in seiner Grandiosität anzuerkennen. Das konnte ja nicht gut gehen. Ein ständiges Kompetenzgerangel war die Folge gewesen. Kein Tag in ihrer etwa elfmonatigen Beziehung war vergangen, an dem sie nicht aneinander geraten wären. Das hält das festeste kosmische Band nicht aus. Und so war es plötzlich vorbei gewesen, von einem Tag auf den anderen. Natürlich hatte Joachim das schon vorher kommen sehen, etwa eineinhalb Wochen im Voraus; und trotzdem hatte ihn dieser Schlag hart getroffen, denn eine Zeitlang hatte man miteinander auch über längerfristige gemeinsame Zukunftsperspektiven gesprochen. Das war gar nicht so lange her. Und nun war sie fort, hatte sich aus dem Staub gemacht.
Gut, letztlich war sie es, die dabei mehr − nämlich ihn − verlor, das war ihm natürlich klar. Aber dennoch: Wenn sie ihn doch nur jetzt hätte sehen können, wie er hier oben, in klirrender Kälte, auf der Burgmauer entlangschritt, eigentlich jederzeit in Gefahr, auf dem eisigen Grund auszurutschen und hinab in den sicheren Tod zu stürzen! Sie hätte ihre voreilige Entscheidung sicher noch einmal überdacht, angesichts dieses intensiven Joachims, der irgendwie zu allem bereit schien. Ein Verwegener am Rande des Abgrunds. Frauen liebten die Wagemutigen, das wusste er. Wenngleich die Mauer, auf der er, in luftiger Höhe und bei nicht geringem Wind, balancierte, etwa einen ganzen Meter breit war und er sich − zugegebenermaßen − auch eher in relativ sicherem Abstand zur Kante bewegte, so war doch durchaus ein gewisses, nicht auszuschließendes Restrisiko dabei; jedenfalls genug, damit er sich ziemlich romantisch fühlte. Und er dachte darüber nach, ob es nicht legitim wäre, sich aus einer solch akuten Gefühlslage heraus, allein wegen des unglücklichen Ausgangs einer Liebe, wegzuwerfen, den Wert dieses vermeintlich höchsten Guts, dem Leben, gering zu achten, dem Tod quasi ins Gesicht zu lachen, so, wie es die Jungen und Wilden unter den genialischen Großen eigentlich schon immer getan hatten.
Diesbezüglich hatte er auch am vorigen Tag ähnliches gegenüber einem Freund geäußert, der ihm in jener Stadt Unterkunft gewährte, damit er, vor lauter Schmerz und Qual, fernab des Orts der schrecklichen Begebenheiten und erdrückenden Erinnerungen, wieder zur Besinnung kommen könnte. Und er war sich bei der Äußerung dieser Gedanken sehr radikal vorgekommen und hatte es übrigens irgendwie durchaus ernst damit gemeint. Der Freund freilich wertete das Ganze als einen Ausdruck emotionaler Aufgewühltheit, dem man am besten mit rücksichtsvollem Verständnis und Nicken, aber auch unauffälliger, innerer Distanziertheit begegnete.
Über diese stürmischen und drängenden Gedanken jedoch hatte Joachim daraufhin lange Zeit nachdenken müssen; und je mehr er sich damit beschäftigte, desto mehr gefiel ihm die Vorstellung, dass er genau so einer sein könnte, der, in einer Welt wie der heutigen, in der die Ratio und Sicherheitsdenken regierten und kaum mehr jemand so richtig an solche Sachen wie die ideale Liebe glaubte, dass er also genau so einer sein könnte, der diesem ganzen unbefriedigenden Einerlei im Allerlei gleichsam einen Gegenentwurf hinstellte, indem er die Gunst des Augenblicks nützte und, wie gesagt, allein aufgrund einer verronnenen Liebe, einmal unbedacht all dessen, was er damit von sich warf, einen beherzten Sprung hinab in die Tiefe täte. Er war ganz erfüllt von dem Gefühl, dass dies der exzessiven Reaktion eines in seinem Ego gekränkten Künstlers eigentlich auf das Genaueste entsprechen müsste.
Und war er nicht auch ein Künstler? Hatte er nicht schon ein Gedicht geschrieben und veröffentlicht? Natürlich! Und zeugte dieses Gedicht nicht davon − und würde immer davon zeugen −, dass der Verfasser vor lauter Sensibilität, Leidenschaft und Melancholie nur so strotzte? Ja. Also, musste ein solcher Dichter, ein solcher Künstler, wie er dann ja wohl offensichtlich einer war, musste ein solch impulsiver Mensch, der allein durch seine wilden Gefühle gelenkt wurde und kraft göttlicher Funken seine Werke vollbrachte, ein Manisch-Depressiver, ein Nutznießer der schöpferischen Macht der Schwermut, musste so einer nicht auch dem eigenen Anspruch, selbst ein Kunstwerk zu sein, gerecht werden? Auch diese Frage musste Joachim bejahen.
Es schien nun ganz so, als bliebe ihm, nachdem er all diese Überlegungen einmal durchlaufen hatte, gar keine andere Möglichkeit mehr, als sich selbst zu überrumpeln und die Mauer hinunterzuwerfen; sofern er seinem eigenen Selbstbild weiterhin die Treue halten können wollte.
Das allerdings stellte jetzt in der Tat ein Dilemma dar. Denn genaugenommen, wenn er einmal in sich ging und prüfte, verspürte er eigentlich überhaupt nicht den Wunsch, sein Leben an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt zu beenden. Er hatte gar keine Lust dazu. Schwierig. Wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, so musste er sich nämlich eingestehen, dass er es wahrscheinlich auch in keiner Weise über sich zu bringen vermochte, Selbstmord zu begehen. Und wegen dieser blöden Kuh erst recht nicht. Außerdem hätte er einfach zu große Angst davor gehabt. So schlimm war das ja auch alles nicht, wenn man einmal richtig darüber nachdachte. Es kam einfach nur darauf an, welchen Blickwinkel man einnahm. Davon abgesehen, reichte es im Grunde schließlich auch, dass er sich selbst eine Zeitlang das Gefühl vermittelt hatte, er könne so etwas möglicherweise durchaus tun, einfach so, mehr oder weniger aus einer Laune des Augenblicks heraus, sozusagen, in einem Affekt, geboren aus der Paarung von Innenwelt und Außenwelt, eine Handlung, entstanden aus dem Zusammenspiel bestimmter Umstände. Ja, das reichte eigentlich. Er war sehr nahe daran gewesen, etwas unglaublich Intensives zu tun, sogar das denkbar Intensivste, das ihm einfiel. Joachim war ein bisschen stolz auf sich und konnte zufrieden sein, weil er ganz eindeutig ziemlich radikales Gedankengut mit sich herumtrug; Ideen, von denen andere noch nicht einmal etwas ahnten, nein, von denen die meisten anderen noch nicht einmal in der Lage waren anzunehmen, dass sie existierten, weil sie vollkommen außerhalb ihrer geistigen Sphäre lagen!
So schlenderte Joachim also weiter über die breite, schneebedeckte Außenmauer der Festungsanlage und war sich wieder einmal seiner Sache sicher. Er war ein großer Künstler. Und all diese Menschen dort unten, in dieser Stadt, was waren das bloß für armselige Lichter! Was bot er, Joachim, dagegen gehalten für ein Bild! − Er würde versuchen, es in seinem schönen Blankobuch treffend zu beschreiben. Sein Plan war es, dieses Werk dann, wenn es bis zur letzten Seite gefüllt wäre mit der überbordenden Welt seines Ichs, seiner − er wagte, aus der begründeten Angst heraus, Gedanken schüfen Realitäten, dieses Wort kaum zu denken − Ex-Freundin auf postalischem Weg zukommen zu lassen; wenn sie sich schon nicht, wie es seit etwa einer Woche mittlerweile offenkundig der Fall war, die Mühe machen wollte, ihm, in einem Anfall aus Reue, Sorge und romantischen Gefühlen, an diesen Ort hier zu folgen, nachdem sie in aufwendiger Recherchearbeit herausgefunden hätte, wo in diesem Land er sich momentan aufhielt…
Denkbar war es aber seiner Meinung nach durchaus, vielleicht sogar sehr wahrscheinlich, dass eine solche Reaktion ihrerseits noch immer auszulösen wäre, wenn sie dann dieses von ihm handschriftlich vollgestopfte Büchlein in Händen hielte, zu Tränen gerührt von den ihm innewohnenden Bekenntnissen eines an Welt und Menschheit leidenden höheren Künstlerwesens, das er war. Sie würde sich zweifellos dem Sog seiner Gefühls- und Ideenwelt nicht entziehen können und zu ihm zurückkommen wollen, in der bitteren Erkenntnis, einen sehr schwerwiegenden Fehler gemacht zu haben und ihm, dem Einzigen, damit Schmerzen verursacht.
Als ein weiterer, sehr nützlicher Nebeneffekt dieses so kleinen und doch so wirkmächtigen zu versendenden Päckchens war es zu betrachten, dass der Poststempel ihr dann zudem unmittelbar Aufschluss geben würde über seinen jetzigen Aufenthaltsort. Es würde ihr förmlich wie Schuppen von den Augen fallen, wo er war, sie würde sich lästige Recherchearbeiten gänzlich sparen und ihm direkt und unumwunden hierher folgen können. Einfacher konnte er es ihr nun wirklich nicht machen, ihn zurückzugewinnen.
Wie freute er sich schon auf das Bild, das sie zusammen abgeben würden! Wenn sie ihn hier oben auf den Mauern anträfe, einsam, in trübsinnigen, düsteren Grübeleien versunken, die ihn bedrohende Gefahr eines plötzlichen Ausgleitens auf dem vereisten Stein gar nicht achtend, möglicherweise bereits suizidal in aussichtslose, schwarze Welten abgetaucht, nachdem sie ihm sein Lebenslicht, nämlich sich selbst, gestohlen hatte!
Und wie würde sich schließlich ihr Herz erleichtern, wenn sie dann sähe, wie sich seine Augen bei ihrem unerwarteten Anblick unwillkürlich aufhellten, so wie die aufgehende Sonne, war sie doch gekommen, um ihn aus seinen Qualen zu erretten! Sie beide dann, eng umschlungen auf der wuchtigen Festungsmauer, hoch oben über der Stadt, am Abgrund, umwölkt von Schneeflocken und von nun an unwiderruflicher gegenseitiger Zugehörigkeit − das war intensiv, genau so, wie er es gerne hatte! Romantik in Reinform. Hoffentlich ging der Plan bald auf!
Bis dahin würde er sich die Zeit eben noch in dieser netten Stadt vertreiben und jeden Tag seinen Gang hier hinauf tun. Das würde er mit Sicherheit, wenn es nach ihm ginge, ohne weiteres noch gut und gerne zwei, drei Wochen so durchhalten. Wenn ihm nicht jener Freund, bei dem er sich einquartiert hatte, einen Strich durch die Rechnung machen würde. Schließlich wohnten sie dort zusammen in nur einem Zimmer, und es war anzunehmen, dass es dem Freund mit der Zeit dann doch zu eng werden würde. Joachim hatte dafür Verständnis. Daher war es nun an der Zeit, dass sie endlich kam. Damit das Ganze hier ein Ende nahm und man zu etwas Neuem übergehen konnte.
Als er merkte, dass diese letztgenannten Gedanken aufkamen, gab er sich alle Mühe, sie wieder zu verscheuchen und die Stimmung, in der er sich zuvor befunden hatte, wiederzufinden und noch eine Weile aufrechtzuerhalten; denn wenn sie dann käme und er sich nicht mehr so fühlte wie vorher beschrieben, würde das alles nur noch halb so schön werden mit ihrem Wiedersehen und einen faden Beigeschmack bekommen. Vielleicht würde er dann sogar überhaupt nicht mehr unbedingt wollen, dass sie käme.
Es war also ein schwieriger Gemütszustand, in dem Joachim sich gerade befand, als Echtmann um die Ecke bog und ihn sah, wie er so, sehr mit sich selbst beschäftigt, auf der Mauer der Festung entlangspazierte. Echtmann kannte sich mit Festungen aus, und er kannte sich auch mit solchen Leuten wie Joachim aus, die scheinbar verloren auf den Außenmauern solcher Burganlagen herumliefen, mit halbgefüllten Blankobüchern in ihren Taschen, und vor sich hin murmelten. Er wusste natürlich sofort, was in einem solchen Fall zu tun war. Darum zögerte er auch keinen Augenblick und ging schnurstracks auf Joachim zu. Der hob den Blick, als er Echtmann bemerkte, zunächst noch in der irrigen Annahme, der Mensch, der da käme, könnte möglicherweise endlich sie sein. Natürlich erkannte er schnell, dass dies nicht der Fall war. Doch wer Echtmann war, wusste er bisweilen auch noch nicht.
Immer offen für interessante Begegnungen, ganz nach Künstlerart also, schaute Joachim gespannt der näherkommenden Gestalt entgegen. Und dann stand Echtmann plötzlich vor ihm. Joachim erwartete eigentlich einen ersten Satz der Begrüßung von ihm. Das war das Mindeste. Es kam jedoch nichts. Warum sprach dieser Kerl nicht zu ihm? − Stattdessen blickte ihm der Fremde kurz in die Augen, schien sich bestätigt zu fühlen und schubste Joachim. Der verlor den Halt, glitt ab und trudelte, mit staunendem und ungläubigem Entsetzen in seinem Gesicht, hinab in die Tiefe, wo er ganz profan am Felsgestein, am Rande der Festungsmauer, auf der er noch soeben gegangen, zerschellte und sich augenblicklich verwandelte in einen äußerst unförmigen, unansehnlichen und unwiderruflich dysfunktionalen Klumpen, nachhaltig beendet und zu nichts mehr zu gebrauchen.
Das schöne Blankobuch in der Innentasche seiner Jacke war nun besudelt mit Joachims Blut und Körpermatsch, was dem Inhalt des Buches jedoch sogleich eine ganz andere, viel authentischere Qualität und Anmutung verlieh. − Wenn es dann nämlich gefunden wäre und schließlich in Händen gehalten von der rechtmäßigen Adressatin, würde sie daraufhin sicherlich zu der Überzeugung gelangen müssen, sie hätte Joachim tatsächlich völlig falsch eingeschätzt, wenngleich der Inhalt des Büchleins, rein ästhetisch betrachtet, natürlich dennoch einfach viel zu pathetisch war. Doch es war auch das Zeugnis eines im Grunde liebenswerten und tief leidenden Menschen, der vor lauter Liebeskummer keinen anderen Ausweg mehr für sich gesehen hatte als diesen. Und in Kombination mit dem Freitod ging so viel Pathos dann letzten Endes auch in Ordnung. Es war einfach ein zutiefst menschlicher Ausdruck innerer Verzweiflung, und natürlich würden alle sehr traurig darüber sein, dass es mit Joachim ein solch schlimmes Ende hatte nehmen müssen. Und man würde sich selbstverständlich auch fragen, wie man es hätte verhindern können. So hatte man ihn aber auch wirklich gar nicht eingeschätzt. − Hätte man ihn bloß besser gekannt, dann hätte man gewusst, was für ein Mensch er war!
»Idiot«, murmelte Echtmann, bei einem letzten Blick hinterher, zog sich seine Mütze tiefer ins Gesicht und stapfte, einigermaßen zufrieden mit dem absurden Ausgang dieser Geschichte, den Weg auf dem äußersten Ring der Wehranlage hinfort und entzog sich wieder an der nächsten Ecke, irgendwo hinter dem Mauerwerk im Inneren der Festung verschwindend, dem Blick.
ENDE
aus: Anton Goldberg: Von Selbstmorden und anderem Zeitvertreib. Absurde Kurzgeschichten. NIL/apebook: Essen 2018. 240 Seiten (Hardcover 22,00 €/ eBook 4,99 €), ISBN 978-3-96130-122-5
Ich hoffe, die Kurzgeschichte hat einigen gefallen, und ich würde mich über Feedback dazu in den Kommentaren freuen.
Aber das ist noch nicht alles! Auf meiner ziemlich neuen Autoren-Website unter www.antongoldberg.de finden sich Links, über die man weitere Texte als Single-Auskopplungen aus meinen zwei Erzählbänden bei allen möglichen Online-Shops als kostenlose eBooks herunterladen kann.
Außerdem – und jetzt halten Sie sich fest – erhalten Sie die Kurzgeschichte »Unter dem Meer« als eBook (EPUB) sowie das Kurzhörbuch »woanders« (mp3) als kleine Willkommensgeschenke zum kostenlosen Download, wenn Sie meinen Newsletter abonnieren möchten. Die Betonung liegt hier auf dem letzten, extra hinzugesetzten Wort „möchten“. Andernfalls können Sie die beiden Willkommensgeschenke andernorts nämlich auch für sehr wenig Geld kaufen.
Und, natürlich: Ohne weiteres kann man auch einfach die Katze im Sack kaufen, nämlich meine Erzählbände »Von Selbstmorden und anderem Zeitvertreib« sowie »Kleine Schubladenprosa«, ohne zuvor all diese Leseproben durcharbeiten zu müssen. Beide Bücher sind sowohl als schöne Hardcover-Ausgaben als auch als eBooks erhältlich. Und ich werde nicht müde, es zu erwähnen: Im erstgenannten findet sich eine Erzählung, die sogar Richard David Precht nicht besonders gut gefallen hat.
Ist für die Werbung nicht der Verlag zuständig? Du bist Autor, kein Werbefachmann. 😂
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Das ist ein kleiner Indie-Verlag, der natürlich auch ein bisschen darauf bauen muss, dass die Autorinnen und Autoren selbst etwas die Werbetrommel rühren (insbesondere, wenn sie BloggerInnen sind). Das ist schon in Ordnung so. Für große Marketing-Aktionen fehlt es solchen Mini-Verlagen einfach an Kapazitäten.
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