Ein Buch wird nur dann gekauft, wenn sein Inhalt interessant zu sein verspricht. Das ist klar. Doch was ist für wen interessant? – Die Autorin respektive der Autor selbst werden in den meisten Fällen das, was sie da schreiben bzw. geschrieben haben, zumindest halbwegs interessant finden. Soll sich das Buch erfolgreich am Markt positionieren, dürfen sie mit dieser Meinung aber nicht alleine bleiben.
Es geht hier also auch – aber nicht nur – um die Frage nach dem Zielpublikum und darum, ob dessen Lesebedürfnisse bedient werden. Ob diese Bedürfnisse dann auch noch befriedigt werden, steht auf einem anderen Blatt und wird erst in dem nächsten Teil dieser Reihe behandelt, wenn es um die literarische Umsetzung des Stoffes geht. Vor allem aber geht es hier um die Frage danach, woher der richtige respektive interessante Stoff kommt.
Prinzipien der Stofffindung
Hier sollen nicht alle möglichen Themen oder Stoffe vorgestellt werden, die sich für ein Buch eignen könnten. Das ist unmöglich. Es werden keine konkreten Vorschläge gemacht, welche Stoffe besonders ´gut gehen´ und welche besser nicht angefasst werden sollten. Solche Regeln lassen sich kaum aufstellen. Die Vielfalt des Stoffes ist potentiell unbegrenzt. Beinahe alles lässt sich literarisch ansprechend verarbeiten – wenn man es kann.
Es werden im Nachfolgenden vielmehr die Prinzipien der Stofffindung näher beleuchtet. Wie entscheidet man sich für einen Stoff bzw. was entscheidet, welchen Stoff man literarisch umsetzen möchte? Es geht um die Motivation, die hinter der Produktion eines literarischen Werkes steht, und inwiefern diese Einfluss auf den möglichen Erfolg des Buches am Markt nimmt oder nehmen kann. Wer sich einen Überblick verschaffen möchte darüber, welche literarischen Stoffe und Genres derzeit besonders angesagt sind, wird hier nicht fündig werden, braucht sich aber nur die einschlägigen Verkaufsranglisten anzuschauen.
Schreibmotivation
Mit der Frage nach dem Stoff ergibt sich die Frage nach der Motivation. Man kann hier unterscheiden zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Die Motivation, ein Buch zu schreiben, bewegt sich im Spannungsfeld dieser beiden Pole. Auf der einen Seite liefert ein inneres Bedürfnis des Schreibenden die Motivation zum Buch, auf der anderen Seite sind es äußere Faktoren, die die Motivation zum Schreiben eines Buches liefern. In der Regel wird es sich bei diesen äußeren Faktoren um wirtschaftliche und soziale Aspekte handeln, d. h. die Möglichkeiten eines finanziellen Gewinns oder auch des Prestiges als Autorin bzw. Autor sind ausschlaggebend, manchmal sicherlich auch gesellschaftliche Umstände, auf die die Autorin oder der Autor zu reagieren sich bemüßigt fühlt. In letzterem Fall dürften sich intrinsische und extrinsische Motivation zu einem schwer zu unterscheidenden Gemisch vermengen. In der Regel werden wahrscheinlich ohnehin beide Motivationsprinzipien zusammenkommen, nur dass das Verhältnis der beiden individuell verschieden gewichtet ist.
Was genau bedeuten nun ´intrinsisch´ bzw. ´extrinsisch´?
Die eine Motivation richtet sich nach einem (oder mehreren) inneren, die andere richtet sich nach einem (oder mehreren) äußeren Antrieb(en) aus. Die intrinsische Motivation ist sozusagen selbstgenügsam. Eine bestimmte Tätigkeit wird ausgeführt, weil entweder die Tätigkeit an sich oder das daraus entstehende Resultat oder eine aus der Tätigkeit resultierende Fähigkeit als befriedigend empfunden werden. Die Motivation speist sich also gewissermaßen aus einem Lustgewinn, der unmittelbar mit der Ausübung der Tätigkeit verknüpft ist. Der Begriff ´Lustgewinn´ ist hier sehr weitgefasst. Auch die literarische Aufarbeitung einer persönlichen Problematik fällt in der hier vertretenen Definition darunter.
Dahingegen verweist die extrinsische Motivation auf etwas außerhalb der Tätigkeit. Durch die Ausübung der Tätigkeit wird die Befriedigung bestimmter Wünsche in Aussicht gestellt, die nicht unmittelbar an speziell diese Tätigkeit oder das daraus hervorgehende Resultat gekoppelt sind. Die entsprechend ausgeübte Tätigkeit wird lediglich deshalb gewählt, weil sie ein günstiges Mittel zur Erreichung des Ziels zu sein scheint. Die eigentlichen Anreize liegen aber außerhalb der Tätigkeit und dem daraus hervorgehenden Resultat. Im plattesten Fall kann das Ziel im Erlangen von Ruhm und Reichtum liegen (oder, etwas runtergebrochen: im Geldverdienen), während es der Autorin oder dem Autor aber relativ egal ist, auf welche Weise – sprich: mit welchen Büchern – dieses Ziel erreicht wird.
Was bedeutet das für den Stoff?
Wie bereits gesagt, wird sich wahrscheinlich nur bei sehr wenigen Menschen im Allgemeinen und Schriftstellern im Speziellen eine der beiden Motivationslagen in reiner Ausprägung finden lassen, sondern fast immer eine Mischform. Die Psyche des Menschen ist komplex. Um den Unterschied aber möglichst deutlich herauszuarbeiten und nachvollziehbar zu machen, gehe ich hier der Einfachheit halber von mehr oder weniger Reinformen der beiden Motivationslagen aus.
Während es bei der intrinsischen Motivation alleine um die Interessenslage der oder des Schreibenden geht, hat die extrinsische Motivation notwendigerweise verstärkt die Interessenslage des Lesenden im Blick, weil das Ziel der extrinsischen Motivation – finanzieller Gewinn und Prestige – nur durch eine positive Resonanz seitens des Publikums zu erreichen ist. Der Schreibende wird dem Prozess des Schreibens die Überlegung voranstellen, welcher Stoff bzw. welche Geschichte wahrscheinlich auf das Interesse des Lesepublikums stoßen wird. Im Extremfall bedeutet dies, dass das behandelte Thema oder die erzählte Geschichte die Autorin oder den Autor persönlich kaum interessiert, die Beherrschung des schriftstellerischen Handwerks aber dazu genutzt wird, ein voraussichtlich kommerziell gut vermarktbares literarisches Produkt zu schaffen.
Wer aus einer rein intrinsischen Motivation heraus schreibt, wird sich um eine mögliche Erwartungshaltung eines möglichen Lesepublikums nicht allzu viele schwerwiegende Gedanken machen und darf daher lediglich darauf hoffen, dass sich das eigene Thema bzw. der gewählte Stoff mit der Interessens- und Bedürfnislage der Leserschaft deckt. Der Schreibende orientiert sich bei der Stoffauswahl alleine an den eigenen Interessen oder auch Bedürfnissen und lässt ein mögliches Publikum und dessen Erwartungen außer Acht.
Dies wird vor allem bei künstlerischen Buchproduktionen der Fall sein, bei dem es der oder dem Schreibenden vor allem darum geht, eine eigene Sichtweise auszudrücken und/oder sich an einer bestimmten Problematik literarisch abzuarbeiten.
Gefahren
Beide Ansätze, insbesondere in ihrer radikalen Ausprägung, halten Fallstricke bereit. Eine reine Marktorientierung kann dazu führen, dass man einem Trend hinterherläuft, der aber zum Zeitpunkt der Fertigstellung eines entsprechenden Werkes bereits der Vergangenheit angehören kann. Man bedenke, dass vom Zeitpunkt der Entscheidung, ein Buch zu schreiben, bis zum fertigen verlegten Produkt leicht zwei bis drei Jahre (oder mehr) ins Land gehen können. Und selbst in einem Jahr kann sich ein derzeit aktueller Trend bereits überholt haben. Außerdem kann es sich hierbei leicht um ´seelenlose´ Produkte handeln, Auftragsarbeiten oder Werke aus Kalkül, die zwar möglicherweise bestimmte Ansprüche bestimmter Zielgruppen erfüllen mögen, aber einem wirklichen literarischen Anspruch nicht gerecht werden. Ich bin der Überzeugung, dass man es einem Buch anmerkt, ob es von Leben und Geist erfüllt ist oder nicht.
Wenn sich hingegen jemand nicht um den Markt oder jedwede Trends schert, weil er sich an einer persönlichen Thematik bzw. Problematik literarisch abarbeitet, können hieraus großartige Werke entstehen, die möglicherweise Eingang finden in den Kanon der (Welt-)Literatur; gerade bei einem solchen Ansatz besteht aber auch immer eine gewisse Gefahr, ´zu privat´ zu schreiben, was sich darin ausdrücken kann, dass das Geschriebene niemanden interessiert oder – noch schlimmer – die Distanz zum Geschriebenen vollends fehlt, wodurch im Grunde immer ziemlich schlechte Texte entstehen, weil die kritisch-urteilende Instanz auf ein Minimum reduziert ist. (Mehr zu diesem Themenkomplex dann ebenfalls im nächsten Teil der Reihe.)
Plädoyer für Originalität
Zwar kann ich nichts Verwerfliches an Auftragsarbeiten oder solchen Büchern, die zum Zwecke des Geldverdienens geschrieben wurden, finden – denn so ist das nun einmal, wenn man vom Schreiben leben muss bzw. will und nicht zu den wenigen Glücklichen gehört, die mit ihren ureigenen Büchern genug verdienen. Ich persönlich als Leser würde aber immer diejenigen Werke bevorzugen, die aus einem inneren Antrieb heraus entstanden sind. Büchern, die aus Kalkül geschrieben wurden, merkt man ihre innere Leere in der Regel an. Auch gutes Handwerk kann darüber nicht hinwegtäuschen. Vielleicht mögen diejenigen Titel, die sich nicht um Trends, vermeintliche Schreibregeln oder eindeutige Genrezugehörigkeit kümmern, es schwerer haben, kommerziell erfolgreich zu werden oder auch nur einen Verlag oder eine Agentur zu finden, die sich ihrer annehmen. Aber aus literarischer Sicht sind hier sicherlich die interessanteren Werke zu finden. Ich bin entschieden für Bücher, die mir ihre eigene künstlerische Weltsicht zeigen. Etwas, das ich vorher vielleicht noch nicht kannte oder anders. Reines gutes Handwerk, ohne mich mit etwas Neuem zu überraschen, interessiert mich nicht besonders. Gutes Handwerk ist nicht genug. Es ist lediglich ein Beherrschen der Regeln. Danach beginnt die Kunst.
Bei ganz viel Glück kommt beides zusammen, d. h. das Werk wird aus einer mehr oder weniger rein intrinsischen Motivation heraus erschaffen, bedient aber trotzdem zugleich die Bedürfnislage des Lesepublikums, weil der Stoff den Zeitgeist trifft. Und wird möglicherweise zu einem Erfolg, weil der Stoff zudem gut umgesetzt wurde.
Der beste Stoff
Der beste Stoff ist der, den man nicht suchen muss. Der sich von alleine bemerkbar macht, sich anbietet, manchmal sogar aufdringlich wird, weil er verarbeitet werden will. Wer von einem solchen Stoff heimgesucht wird, hat eigentlich keine Wahl. Es lässt sich förmlich körperlich und psychisch spüren. Es baut sich ein Zustand des Ungleichgewichts auf, ein Zustand der Geladenheit, der zur Entladung drängt. Er oder sie muss sich an der künstlerischen bzw. literarischen Umsetzung versuchen. Das mag manchen etwas esoterisch anmuten. Ist es aber nicht. Es ist der beste Stoff.
„Die somatischen Übergänge von Körper und Literatur sind weithin unerschlossen.“
(Kurt Drawert: Schreiben. Vom Leben der Texte. München 2012, S. 89)
Entkoppelter Appendix
Wer die Wirklichkeit noch immer klar in Geist und Materie aufteilen möchte, missversteht nicht nur die Wirklichkeit, sondern hinkt mittlerweile tatsächlich auch dem aktuellen Wissensstand der Disziplinen hinterher (wenngleich ein solcher Wissensstand wiederum nichts hinsichtlich letzter Wahrheiten zu besagen hat).
Der hier vertretene Ansatz sieht eher eine Welt, bestehend aus Information, die sich sowohl bewusst als auch unbewusst fassen lässt. Dies ist im Übrigen der Punkt, an dem der Übergang zwischen künstlerischer Produktivität und möglicher pathologischer Diagnose verschwimmen kann.
Die Welt ist Information. Die Art der Filterung entscheidet über das eigene Bewusstsein und Unbewusstsein. Die Kontrolle über die Filterung sowie die Ordnung der Informationen entscheiden über den Geisteszustand. Fehlen ausreichende Kontrolle und Ordnungsinstrumente, kann es zur Informations-Überflutung kommen.
Information ist alles; das Feste, das Flüssige, das Gasförmige, das Geistige. Aus Information formen sich alle Dinge und alle Stoffe. Information durchdringt uns. Es bilden sich Verdichtungen und Wirbel. Wenn sich eine bestimmte Art von Information in einem Individuum verdichtet, das künstlerischer Natur ist, kann sie zum bestimmenden Stoff der kreativen Tätigkeit werden. Unter Umständen ein Lebensthema. Das ist reine intrinsische Motivation. Ein Thema, das zu einem kam; ob man es wollte oder nicht.
Das war der zweite Teil der Reihe „5 Faktoren erfolgreichen Schreibens“. Vorangegangene Teile: