Auf der Leipziger Buchmesse haben in diesem Jahr u. a. die sogenannten „Blogger Sessions“ stattgefunden. Das war eine Vortrags- und Diskussionsreihe von und mit Bloggern über Themen, die für Buch- und Literaturblogger von Interesse sein können.
Ich möchte voranschicken, dass ich selbst in diesem Jahr nicht auf der Leipziger Buchmesse war. Ergänzend möchte ich hinzufügen, dass ich selbst bisher nicht bewusst zwischen Buch- und Literaturbloggern unterschieden habe. Man kann mich getrost als das eine oder als das andere bezeichnen, ohne dass es etwas mit mir macht. Warum ich das sage? Weil eine solche Unterscheidung u. a. Thema dieses Beitrags ist. Und sehr wichtig. Unwichtig wollte ich sagen. Wichtig. Unwichtig. Wichtig, unwichtig, wichtig. Unwichtig. Wichtig? (Das war übrigens eine − leicht abgewandelte − Anspielung auf einen absoluten Klassiker. Wer errät es? Der oder die Erste bekommt von mir ein Geschenk zugeschickt. Oder auch nicht.)
Mir ist vor nicht allzu langer Zeit durch einen Beitrag von Tobias Nazemi (buchrevier.com) aufgefallen, dass es da anscheinend seit der Leipziger Buchmesse und eben jener besagter Blogger Sessions im März eine Kontroverse gibt zwischen solchen, die den Buchbloggern zugerechnet werden (oder sich selbst zurechnen), und solchen, die den Literaturbloggern zugerechnet werden (oder zugerechnet werden wollen). Vielleicht gibt es diese Kontroverse unterschwellig oder in anderen Bereichen der Blogosphäre schon länger, und ich habe einfach bisher nichts davon mitbekommen, weil ich mich in meiner eigenen kleinen Nische aufhalte, in der solche Unterscheidungen keine besondere Relevanz haben…
Jedenfalls, der Auslöser dieser Kontroverse, die sich − zugegebenermaßen − doch eher im Verborgenen abspielt, denn besonders große Auswirkungen hat das Ganze nicht, ich wiederhole, der Auslöser dieser Kontroverse war ein Beitrag jener Blogger Sessions mit dem Titel: „Hören wir auf zu kuscheln, lasst uns laut und stachelig werden!“ Zur weiteren inhaltlichen Erläuterung dieses Titels stand im Programmheft geschrieben: „Lasst uns unbequemer werden! Steile Thesen (und eine Diskussion) zur Relevanz von Literaturblogs.“ Auf dem Podium saßen zu diesem Thema Katharina Herrmann (54books.de), Jochen Kienbaum (lustauflesen.de) und Tobias Nazemi (buchrevier.com).
Durch einen Beitrag von Letzterem bin ich, wie gesagt, auf die Kontroverse aufmerksam geworden. Denn in diesem Beitrag erzählt der selbsternannte „last man reading“ davon, wie er aufgrund jenes Vortrags von einer anderen Bloggerin, namentlich Mareike Hansen von „crowandkraken.de“, scharf kritisiert worden sei − wie übrigens auch Jochen Kienbaum. Katharina Herrmann wurde explizit ausgespart von der Kritik, denn diese hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Darin waren sich im Grunde alle einig.
Worum ging es?
Mareike Hansen, auch als „Bücherkrähe“ bekannt (bekannt, unbekannt, bekannt, unbekannt…), schrieb im Zuge des Vortrags den Artikel „Alte weiße Männer und das Mimimi“, in dem sie Jochen Kienbaum und Tobias Nazemi kritisiert. Außerdem auch Wolfgang Tischer (literaturcafe.de), der sich im Laufe der Veranstaltung zu Wort meldete. Veranlasst zum Verfassen des Beitrags wurde sie, wie sie schreibt, vor allem durch die Äußerungen Jochen Kienbaums im Börsenblatt im Rahmen eines Berichts von Malu Schrader zu den Blogger Sessions. Hier kritisiert Jochen Kienbaum seinerseits die mangelnde Wertschätzung der Referenten der Blogger Sessions seitens der Buchmesse, was er an der mangelnden Entlohnung festmacht, die in „einem Kaffeebecher, einem USB-Stick und einem Buchgutschein über 15 Euro, der obendrein eineinhalb Stunden nach Ende der Konferenz verfiel“, bestand. Weiter argumentiert er:
„Das war kein wertschätzender Umgang mit einer einflussreichen Gruppe von Literatur-, Lese- und Buchbotschaftern, von denen die Messe auch lebt.
Ich hätte meinen Vortrag, den ich zusammen mit Katharina Herrmann und Tobias Nazemi gehalten habe, sicher besser vorbereitet, pointierter vorgetragen und mehr Austausch mit den Zuhörern eingefordert. Auch die Verantwortlichen der Leipziger Buchmesse sollten wissen − was nichts kostet, ist wenig wert. Und: wer wenig bis nichts investiert, bekommt auch wenig bis nichts.“
Diese Äußerungen sind in der Tat etwas schräg. Ich habe mir den Vortrag nachträglich als Podcast angehört. Und ich gebe Jochen Kienbaum recht: Das war wirklich wenig bis nichts. Aber diese mangelhafte Leistung nachträglich damit zu rechtfertigen, dass es nicht genügend Entlohnung gegeben habe? − Natürlich kann ich, insbesondere als Freiberufler, Jochen Kienbaums Haltung insofern verstehen, dass ich für meine Zeit und meine Arbeit vernünftig bezahlt werden möchte. Aber die Konditionen handle ich vorher aus. Und entweder ich bin zufrieden mit den Konditionen und mache den Job, oder ich bin nicht zufrieden und lasse das lieber. Wenn ich mich aber dazu entschieden habe, es zu machen, dann mache ich es jedoch so gut, wie es mir unter den gegebenen Umständen möglich ist. Insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen ist man das nicht nur dem Auftraggeber bzw. dem Vertragspartner schuldig, sondern vor allem auch dem Publikum. Alles andere ist schlichtweg unprofessionell.
Zum Inhalt des Vortrags
Dem Vortrag mangelte es nicht nur an einer stringenten Moderation, sondern der Inhalt selbst war ebenfalls nicht der Rede wert. Zunächst wurde kurz erörtert, worin die Relevanz von Blogs bestehen könnte, nämlich darin, dass man als Blogbetreiber niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig sei und Themen so lang und breit und subjektiv behandeln könne, wie man wolle, mitunter auch sehr nah am Text arbeiten (Herrmann). Es gehe auch um Aufmerksamkeit, die man dadurch erlangen könne, indem man Beiträge in ungewöhnlicher, eigenwilliger, subjektiver Form verfasse − das bringe Relevanz (Nazemi). Auch den vorherigen Vortrag „Warum Buchblogs politischer werden müssen“ von Elif Kavadar und Mareike Hansen fand Tobias Nazemi gut. Kienbaum regte an, auch mal Sachen zusammen zu schreiben oder die Taktzahl zu reduzieren, um Beiträge richtig gut zu machen. Dann fragte er, warum so wenig kommentiert werde − das sei in englischsprachigen Blogs ganz anders. Man solle mehr kommentieren. Ein bißchen mehr „Wir“ sei gut; das würden dann auch andere mitbekommen und ebenfalls mehr kommentieren. Nazemi warf den Vorschlag in den Raum, dass die Bloggergemeinschaft auch Missstände anprangern könne, z. B. durch eine Art Negativpreis für solche Feuilletonisten, die sich besonders im Blogger-Bashing hervorgetan hätten. Und dann erzählte er, dass er da mal so eine Idee gehabt hätte und einfach mal eine „Blogger-Relations-Rangliste“ für Verlage erstellt habe. Das habe das Börsenblatt geteilt, was hohe Wellen geschlagen hätte. Und wenn soetwas alle machten, dann könne die Blogger-Community auf diese Weise ihre Online-Macht nutzen. Man könne hier vielleicht auch eine Art Preis vergeben (Nazemi). Es müsse ja vielleicht nicht unbedingt immer ein Preis sein (Kienbaum). Ja, es ginge auch ohne Preis (Nazemi). Jochen Kienbaum ließ nun wissen, dass er auch hin und wieder für das Büchergilde-Magazin schreibe und dafür sogar auch ein bißchen Geld bekäme − das sei auch sehr schön. Und in diesem Zusammenhang bekomme er seine Texte lektoriert zurück. Dazu sagte er:
„Und es ist so geil, wenn man einen lektorierten Text zurückkriegt. Dann steht da klein am Rand: ´Ist das so?´, ´Stimmt das wirklich?´“
Weil ich selbst unter anderem auch als Lektor arbeite, freut es mich außerordentlich, dass solche kleinen Anmerkungen von uns Lektoren solche Endorphin-Schübe auslösen können. Manchmal schreibe ich auch an den Rand: „Sinn unklar.“ Was Jochen Kienbaum mit seinem Büchergilde-Exkurs angeblich sagen wollte, ist, dass Buchblogger*innen ihre Texte auch gegenseitig lesen und prüfen könnten, bevor sie veröffentlicht würden. Ich glaube aber, was er auch sagen wollte, ist, dass er hin und wieder für das Büchergilde-Magazin schreibt. Und dass er in der Buchpreisblogger-Jury war. So wie Tobias Nazemi gerne sagen wollte, dass er schon einige gute Ideen hatte, die sehr starke Beachtung fanden. Jochen Kienbaum wurde sehr radikal, als er sagte, dass es vielleicht etwas wenig sei, „nette herzige Rezensionen zu schönen Büchern“ zu schreiben. Wer das tun wolle − schön, er habe nichts dagegen, das solle jeder machen, wie er wolle. Aber vielleicht gäbe es einige, die etwas mehr wollten. Was genau er damit meinte, sagte er nicht. I want more. Information.
Qualität
Jedenfalls, es ging auch um die Qualität von Beiträgen. Was der Vortragende Kienbaum vermutlich mit seiner Lektorat-Anekdote und dem Aufruf zum gegenseitigen Vorab-Lesen von Beiträgen sagen wollte, ist, dass eine gewisse Qualität Grundvoraussetzung sei für jedweden Relevanzanspruch. Was zweifellos richtig gewesen wäre, wenn er es gesagt hätte. Hier nun meldete sich ein anderer bekannter (bekannter, unbekannter, bekannter, unbekannter…) Literaturblogger zu Wort, namentlich Wolfgang Tischer von literaturcafe.de, mit dem Einwand, dass Qualität keinen interessiere und nur solche Beiträge Aufmerksamkeit erhielten, die entweder sehr provokativ seien oder (sinngemäß) aktuelle Trends bedienten. Darauf erwiderte allerdings Katharina Herrmann, dass sie das anders sehe − jedoch mit dem Zugeständnis, dass Qualität kein Garant für hohe Klickzahlen sei.
Stacheligkeit und Relevanz
Immer wieder war seitens Jochen Kienbaum und Tobias Nazemi die Rede von Relevanz und dem Wunsch nach mehr „Stacheligkeit“. Abgesehen davon, dass ich diesen Begriff der Stacheligkeit unpassend finde (ich möchte nicht stachelig sein − bin ich denn ein Igel, ein Kaktus, ein Stachelschwein, etwa entsprungen einem Kinderbuch?), wurde vollkommen versäumt zu definieren, was damit überhaupt gemeint sein sollte. Deswegen gab es auch im Publikum zwischendurch Irritationen, weil sich manche wohl etwas anderes von dem Vortrag erhofft hatten, nämlich dass es vielleicht um politisch engagiertere Blogs gehen könnte. Doch es wurde deutlich, dass Kienbaum und Nazemi ihre geforderte „Stacheligkeit“ als eine neue und stärkere Positionierung gegenüber den Verlagen und dem Literaturbetrieb allgemein propagieren wollten. Es geht ihnen in ihrem Aufruf darum, eine größere Relevanz zu erreichen. Was für eine Relevanz ist gemeint? Auch das wurde nicht wirklich gesagt. Ich fürchte aber fast, es kann nur eine sein, die der Eitelkeit derjenigen schmeicheln soll, die diese Forderung stellen. Ich glaube (so ausgelutscht diese Debatte mittlerweile auch sein mag), man möchte noch immer partout genauso ernst genommen werden wie das Feuilleton.
Doch an dieser Stelle, als es um die Definition von „Stacheligkeit“ und „Relevanz“ ging, waren Jochen Kienbaum und Tobias Nazemi bereits schon nicht mehr auf dem Podium, weil sie einen vermutlich sehr relevanten Termin hatten. Katharina Herrmann blieb die letzten paar Minuten allein zurück.
Die Kritik
Auf all das folgten dann − wie eingangs erwähnt − zwei sehr kritische Blogbeiträge, zum einen von Mareike von crowandkraken.de, zum anderen von Anna von inkofbooks.com.
Im Wesentlichen kritisieren die beiden eine gewisse, den Vortragenden unterstellte Arroganz, insbesondere angesichts der Tatsache, dass hier (wieder einmal) „alte weiße Männer“ die Deutungshoheit in einem Bereich für sich beanspruchten, der quantitativ von Frauen dominiert wird (92% aller Buch- und LiteraturbloggerInnen sind angeblich weiblich). In die Kritik nehmen die Beiträge nämlich vor allem Jochen Kienbaum, Tobias Nazemi und Wolfgang Tischer. Katharina Herrmann bleibt (zu Recht) überwiegend verschont.
Jochen Kienbaum wird sein Statement zur mangelnden Entlohnung im Abgleich mit seiner erbrachten Leistung vorgeworfen sowie eine gewisse Arroganz in Hinblick auf seine Anregung, BuchbloggerInnen sollten ihre Texte vor der Veröffentlichung gegenseitig ´lektorieren´.
Tobias Nazemi wird sein Status als vermeintlicher „alter weißer Mann“ zur Last gelegt, in Hinblick auf seine (ich nehme an: leicht scherzhaft gemeinte) Selbststilisierung des „last man reading“ in Verbindung mit einem sexistisch interpretierbaren Beitrag von ihm, der einige Jahre zurückliegt.
Wolfgang Tischer wird vor allem dafür kritisiert, dass er angeblich bestimmten Formen der Buchbesprechung prinzipiell ihre Qualität abspreche, weil nur bestimmte Arten der Buchbesprechung die Kriterien für qualitätsvolle Beiträge erfüllten.
Die Reaktionen
Tobias Nazemi ging mit Mareike auf Kuschelkurs, indem beide ein gegenseitiges Telefoninterview miteinander vereinbarten (in den Kommentaren zu Mareikes Beitrag nachlesbar), in dem beide ihre jeweilige Sicht auf das Bloggen schildern. In seinem Beitrag dazu leitet Nazemi damit ein, dass Mareike und er nichts miteinander gemeinsam hätten, außer dass sie gerne läsen und dann darüber bloggten − nur, um ein paar Sätze später zu sagen, dass das Telefoninterview klar gemacht hätte, dass sich beide gar nicht so unähnlich seien. Ja, was denn nun?
Wolfgang Tischer hat in einem Kommentar zu Mareikes Beitrag seinen Einwurf während des Vortrags, dass Qualität keinen interessiere, versucht zu relativieren. Angeblich sei das ironisch-provokativ gemeint gewesen. − Es tut mir leid, aber wenn ich mir den entsprechenden Podcast anhöre, dann klingt es nicht ironisch. Es war sicher provokativ gemeint und daher etwas zugespitzt dargestellt, weil Tischer hier einen Missstand anprangern wollte − aber er hat es nicht ironisch gemeint, sondern absolut ernst.
Jochen Kienbaum hat sich meines Wissens nicht explizit zu den Anwürfen geäußert. Ohnehin macht er mit seinem Blog momentan (bis September) Pause, um sich etwas literaturtheoretisches Hintergrundwissen anzueignen. Das kann ja auch nie schaden.
Katharina Herrmann hat in einigen Kommentaren zu den Beiträgen Stellung genommen und einen Teil der Verantwortung für den nicht gelungenen Vortrag auf sich nehmen wollen. Leider fühlte sie sich (verständlicherweise) durch das (kontextlose) Zitieren einiger ihrer Aussagen ebenfalls mit den anderen Vortragenden in einen Topf geworfen und kritisiert.
Meine unmaßgebliche Meinung
Wer diesen Beitrag bis hierhin gelesen und immer noch nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht, hat alles verstanden.
Denn eigentlich geht es um gar nichts. Mir ist das alles auch egal.
Es werden von zwei jungen sogenannten Buchbloggerinnen (Mareike/Anna) drei ältere sogenannte Literaturblogger (Jochen, Tobias, Wolfgang) kritisiert. Diese drei älteren männlichen Blogger werden den sogenannten Literaturbloggern (im Gegensatz zu Buchbloggern) zugerechnet, weil ihre Buchauswahl (Gegenwartsliteratur) sowie die Art und Weise der Buchbesprechungen (einigermaßen anspruchsvoll und vernünftig recherchiert) eine relative Nähe zum Feuilleton aufweisen. Vermeintlich demgegenüber stehen die sogenannten BuchbloggerInnen, die sich auch mit sogenannter Genreliteratur beschäftigen.
Man kann Jochen Kienbaum kritisieren dafür, dass er eine mangelhafte Leistung mit mangelhafter Entlohnung nachträglich rechtfertigen wollte. Ich glaube, hier hat er sich etwas vergaloppiert und wollte die im Vortrag geforderte „Stacheligkeit“ demonstrieren. Das war alles andere als geschickt oder − um ein Zitat von ihm selbst aus dem Vortragszusammenhang zu reißen und in diesen neuen Kontext zu stellen: „Das war ein bisschen blöd formuliert.“ Wäre ich an Stelle der Veranstalter, würde ich daraus nun nicht die Konsequenz ziehen, darüber nachzudenken, den Vortragenden beim nächsten Mal eine bessere Entlohnung zu bieten, damit diese dann auch bessere Vorträge hielten, sondern ich würde darüber nachdenken, beim nächsten Mal andere Vortragende einzuladen, die etwas professioneller sind.
Man kann Tobias Nazemi dafür kritisieren, dass er diesen Unterschied macht zwischen Literatur- und GenrebuchbloggerInnen, was einen etwas arroganten Beigeschmack hat, und man kann ihn dafür kritisieren, dass er in der Vergangenheit auch schon mal einen Beitrag geschrieben hat, der genderpolitisch nicht ganz astrein war. Außerdem kann man sich daran stören, dass er offenbar ziemlich verliebt ist in seinen eigenen Ideenreichtum.
Man kann insgesamt kritisieren, dass der Vortrag nicht das Gelbe vom Ei war. Er war aus meiner Sicht schlichtweg nicht der Rede wert. Es fehlte jede „Stacheligkeit“ (blödes Wort). Steile Thesen sind mir nicht aufgefallen. Alles in allem konnte ich mich beim Anhören des Podcasts nicht des Eindrucks erwehren, dass es vor allem auch darum ging, sich selbst zu präsentieren. Jochen Kienbaum mit seiner Arbeit für das Büchergilde-Magazin und in der Buchpreisblogger-Jury und Tobias Nazemi mit seinen viel beachteten Ideen, die er „einfach mal“ gehabt hat. Und hinzu kommt auch Wolfgang Tischer, der gefühlt in jeder Blogger Session auf dem Podium sitzt oder aus dem Publikum heraus mitdiskutiert. Und ich habe den leisen Verdacht, dass Tobias Nazemi und Jochen Kienbaum die Dritte im Bunde, Katharina Herrmann, vielleicht auch deshalb dabei haben wollten, um den Eindruck einer Veranstaltung von alten, weißen Männern etwas abzumildern…
Insofern kann ich einige der Kritikpunkte von Mareike und Anna gut nachvollziehen. Ich glaube schon, dass dort (Nazemi/Kienbaum/Tischer) eine Form von Selbstverständnis vorliegt, das sich zunächst einmal auf einer höheren Qualitätsstufe verortet als das Gros der übrigen Literatur- und BuchbloggerInnen. Und dieses Selbstverständnis wird natürlich dadurch befeuert, dass es eben immer diese selben sind, die zu solchen Veranstaltungen des Literaturbetriebs (wie beispielsweise den Sessions) eingeladen werden. Das hat aus meiner Sicht mehrere Gründe:
1. Ihre Artikel sind meistens ordentlich geschrieben und haben einen gewissen Anspruch.
2. Ihre Blogs haben eine gewisse Reichweite.
3. Sie entsprechen dadurch, dass sie bereits „gesetzteren Alters“ sind, am ehesten dem Bild des distinguierten ´alten weißen Mannes des Feuilletons´, wodurch der Repräsentation der Blogger-Community sicher eine gewisse Seriosität verliehen werden kann – gerade in Anbetracht der etwas aufgebauschten Auseinandersetzung zwischen Feuilleton und Literaturbloggern.
Schaut man sich diese drei Gründe genauer an, bleibt am Ende allerdings nur einer übrig.
Ordentlich geschriebene Beiträge mit einem gewissen Anspruch sind eine Minimalanforderung, die jeder ernstzunehmende Literatur- und Buchblog zu erfüllen hat, und es gibt dahingehend doch einige, die dieser Anforderung genügen.
In Bezug auf die Reichweite gibt es etliche, die sich mit den Blogs der Vortragenden messen können; zudem ist eine solche Reichweite als das zu betrachten, was sie ist: ein theoretisches Konstrukt. Wenn z. B. bei dem Blog Buchrevier von Tobias Nazemi eine Followerzahl von über 10.800 angezeigt wird, dann handelt es sich dabei natürlich nicht um 10.800 aktive Leser, sondern wahrscheinlich nur um ein paar Hundert. Denn wordpress.com zählt alle Kontakte von Social-Media-Seiten, die mit der WordPress-Seite verknüpft sind, als Follower auf. Und diese große Followerzahl kommt dadurch zustande, dass die entsprechende Facebook-Seite viele Abonnenten bzw. „Gefällt mir“-Angaben hat. Und dazu muss man wissen, dass Tobias Nazemi Inhaber einer PR-Agentur ist und als solcher selbstverständlich über sehr viele Kontakte verfügt. Wenn diese dann alle „eingeladen“ werden, bestimmte Seiten zu liken, werden die meisten es wohl auch tun. Und zack! hat die verknüpfte wordpress.com-Seite ziemlich viele Follower. Würde buchrevier.com auf Eigenhost umziehen, blieben wahrscheinlich nur noch etwa 500 Follower übrig. Das ist nicht wenig, aber eben auch nicht mehr beeindruckend viel.
Was übrig bleibt, ist tatsächlich der letzte Punkt, nämlich dass es sich um männliche Blogger handelt, die jenseits der 50 sind und einen recht seriösen Eindruck machen, so dass man sie bei öffentlichen Literaturveranstaltungen gut auf ein Podium setzen kann, ohne irgendein Risiko einzugehen. Nur entsteht dadurch dann leider wirklich ein bisschen der Widerspruch, dass hier Menschen zu Repräsentanten einer Gruppe werden, für die sie nicht repräsentativ sind. Natürlich ist die Blogosphäre nicht homogen, und insofern lässt sich sowieso niemand finden, der für alle repräsentativ sein könnte. Aber immer dieselben müssen es natürlich auch nicht sein. Ein wenig mehr Durchmischung wäre schön.
Kuscheln ist gesund
Aber letztlich, trotz meines Verständnisses dafür, dass man sich an einigen Punkten stören kann, frage ich mich, was diese ganze vermeintliche Kontroverse soll.
Mit allen drei genannten Vortragenden hatte ich in der Vergangenheit bereits schriftlichen Kontakt, entweder über die Kommentarfunktion oder irgendwo in den sozialen Medien. Ich kann nicht sagen, dass Jochen oder Tobias dabei in irgendeiner Form unangemessen oder unsympathisch gewesen wären. Und die (relativ oberflächlichen) Kontakte mit Katharina waren eigentlich immer recht nett.
Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass alle in diesem Beitrag Genannten (Mareike Hansen, Katharina Herrmann, Jochen Kienbaum, Tobias Nazemi, Wolfgang Tischer) ziemlich nette Menschen sind. Ganz ehrlich. Es sind mit ziemlicher Sicherheit alles vernünftig denkende Menschen, die ihr Handeln überwiegend nach zumindest akzeptablen ethischen Grundsätzen ausrichten. Daher kommt vermutlich auch die beobachtbare Tendenz, schnell wieder auf Kuschelkurs zu gehen, nachdem man einmal miteinander im Clinch war. Und das ist gut und richtig so, wenn die vernünftig denkenden Menschen nett zueinander sind und nach Wegen suchen, Meinungsverschiedenheiten zu überbrücken. Natürlich haben wir nicht alle zu allem die gleiche Meinung, aber die Übereinstimmung in Hinblick auf ethische Grundsätze ist − so nehme ich an − relativ groß. Mit manchen von ihnen würde ich mich wahrscheinlich besser verstehen als mit anderen, wenn wir uns mal auf ein Bier treffen würden, aber verstehen würde ich mich vermutlich mit allen von ihnen. Und mit allen von ihnen würde ich ohne weiteres ein Bier trinken. Oder Kaffee meinethalben.
Was allen von ihnen außerdem gemein ist (Katharina vielleicht ausgenommen), ist, dass sie die Bedeutung ihres Bloggens womöglich etwas überschätzen. Bei Kienbaum, Nazemi und Tischer drückt sich das in dem anscheinend vorhandenen Streben danach aus, eine gewichtigere Rolle im Literaturbetrieb zu spielen. Aber auch bei Hansen scheint es eine solche Tendenz zur Überhöhung zu geben, jedenfalls wenn man den Abschluss ihres Beitrags liest:
„Es muss frischer Wind aufkommen. Lasst uns den Sturm bringen.“
Ich habe nichts gegen Sturm. Sturm ist schön. Aber bitte, was für ein Sturm soll das sein? Und würde irgendjemand davon erfahren, wenn er aufkäme? Stell Dir vor, es wäre Sturm, und in allen Wipfeln spürest Du kaum einen Hauch.
Über die Relevanz von Buch- und Literaturblogs
Generell befinde ich mich mit meinen Blogs wohl eher etwas am Rande der „Literatur-Blogosphäre“, was mir sehr gut gefällt. Das führt aber auch dazu, dass mich solche „Kontroversen“, wie die hier behandelte, manchmal − wenn überhaupt − erst mit mehrmonatiger Verspätung und eher zufällig erreichen. Ich könnte mir vorstellen, dass Einiges aus der Blogosphäre überhaupt nicht bei mir ankommt. Und jene Debatte „Feuilleton vs. Literaturblogs“ hat mich nicht einmal peripher tangiert. Ich habe zwar mitbekommen, dass es soetwas angeblich geben soll, aber mehr als ein Achselzucken hat das bei mir nicht ausgelöst. Was interessiert es mich, was irgendwelche Feuilletonisten über Buchblogs schreiben? Ich fühle mich dadurch nicht angesprochen.
Manch anderen scheint das aber ein bleibender Stachel im Fleisch zu sein. Diese ständige Rede von Relevanz und Aufmerksamkeit kommt mir beinahe etwas zwanghaft vor. Die anscheinend permanent empfundene Notwendigkeit, sich und sein Blog gegenüber dem Feuilleton und dem Literaturbetrieb zu legitimieren und in eine gewisse Positionierung (Stichwort „Relevanz“) bringen zu wollen bzw. müssen, ist mir nicht ganz nachvollziehbar. Wenn man sich beständig daran abarbeitet, doch bitte endlich ernstgenommen und gleichberechtigt behandelt zu werden, vergeudet man Zeit und Energie, die man anderweitig viel besser einsetzen könnte. Ich würde ja sagen: Setzt euch auf relevante Art und Weise mit relevanten Themen auseinander, dann wird die Relevanz sich von alleine einstellen. Anstatt solche belanglosen Debatten zu führen, die sowieso niemanden außerhalb der (Literatur- und Buch-)Blogosphäre interessieren, sollte man sich mit wirklich wichtigen Dingen auseinandersetzen.
Ich selbst möchte für meine Blogs auch eine gewisse Relevanz erreichen. Allerdings scheint mir hier ein grundlegender Unterschied vorzuliegen in der Definition von Relevanz. Dort (Nazemi/Kienbaum/Tischer) wird Relevanz offenbar verstanden als eine gewisse Marktmacht und Prestige, womit dann Vergünstigungen einhergehen und Ansprüche geltend gemacht werden können.
Die Relevanz, die ich meine, ist anderer Natur. Zwar habe ich selbstverständlich nichts dagegen, wenn sich meine Arbeit als Buch- oder Literaturblogger auch monetarisieren lässt. Wichtiger aber ist mir die Möglichkeit zur Präsentation einer bestimmten Haltung. In dieser Möglichkeit besteht die eigentliche Relevanz. Ich kann Stellung beziehen. Vielleicht sogar Denkprozesse anregen und etwas in Bewegung bringen. Das kann ich dadurch tun, dass ich gesellschaftspolitisch relevante Themen behandle oder Missstände (im Literaturbetrieb) offenlege, kritisiere und − im besten Falle − Ansätze zur Verbesserung anbiete. Auf indieautor.com tue ich das hin und wieder. Aber auch reine Buch- und Literaturblogs (wie z. B. bookwatch.de), die ausschließlich Rezensionen schreiben, können das von mir präferierte Konzept von Relevanz verfolgen.
Wie ich das Gelesene wahrnehme und beurteile, hat immer auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Insbesondere wenn ich meine Wahrnehmung und Beurteilung in Rezensionen einer Leserschaft/Öffentlichkeit (wie groß auch immer diese sein mag) anbiete, beeinflusse ich dadurch auch deren Denken. Und das Denken schafft Wirklichkeiten. Auch wenn es nur ein kleiner Einfluss ist − es ist ein Einfluss. Insofern ist öffentliches Tun auch immer von gesellschaftspolitischer Relevanz. Der Unterschied ist, ob man sich dessen bewusst ist, tatsächlich auch diese Möglichkeit zur Einflussnahme nutzen möchte und dementsprechend reflektiert schreibt oder nicht.
Ich mache keinen Unterschied zwischen Literatur- und BuchbloggerInnen. Es gibt nur gut oder schlecht geschriebene Texte. Dabei kommt es weniger darauf an, über was geschrieben wird, sondern wie und mit welcher Haltung. Man kann über alles anspruchsvolle Texte schreiben. Texte, die Relevanz haben.