Ich möchte – nicht ganz uneigennützig – auf die Veröffentlichung von fünf kleinen eBooks aufmerksam machen. Fünf kleine eBooks, die es in sich haben. Sie haben die Literatur in sich, im wahrsten Sinne des Wortes. Außerdem den Schalk im Nacken. Und einen Hang zu Depression und Melancholie, mit der Tendenz, dem mit dem gebührenden Unernst zu begegnen.
Der Schund. Maximaler Literaturspass
„Der Schund“ ist bzw. war ein experimentelles und unabhängiges Literaturprojekt, das in seiner Druckversion in den Jahren 2007 bis 2009 kostenlos an ausgewählten Orten in Berlin, in Leipzig und im Ruhrgebiet ausgelegt wurde. Ich selbst war damals (unter Pseudonym) nicht ganz unbeteiligt.
Ziel und Zweck des Schunds waren von Anfang an unbestimmt. Es waren keine konkreten Vorstellungen damit verbunden, was aus dem Schund werden oder wie die Reaktion der Welt auf seine Existenz bestenfalls ausfallen sollte. Der reine Wunsch, eine eigene Literaturzeitschrift herauszubringen, stand am Anfang. Es ging um Irritation, Selbstreferentialität, Metaebenen und das Spiel mit Identitäten, der vermeintlichen Grenze von Realität und Fiktion, Sinn und Unsinn, Absurdität und Ernsthaftigkeit.
Das Konzept
Zugrundeliegendes Konzept war es, dass jede beteiligte Autorin und jeder beteiligte Autor unter Pseudonym schreiben musste. Und diesen Pseudonymen wurden biographische Informationen angedichtet, so dass auf diese Weise die echten Autorinnen und Autoren zu literarischen Figuren wurden. Die entsprechenden Texte „Zum Autor“ bzw. „Zur Autorin“ im Schund sind nicht selten umfangreicher und lustiger als die Texte jener semi-existenten Autorinnen und Autoren selbst. In diesen Meta-Texten wird die ohnehin schon oft vorhandene Absurdität der Schund-Texte auf die Spitze getrieben, indem z. B. fiktionale Entstehungsgeschichten hinzugefügt oder vollkommen irrelevant erscheinende Begebenheiten aus dem Leben der jeweiligen Autorin bzw. des Autors mitgeteilt werden. Durch das Zusammenspiel von Text und Metatext innerhalb des Schunds wird das Literarische auf eine Ebene ganz eigener Qualität gehoben. Der im Schund kultivierte Humor, der nichts und niemanden ernst nimmt und jede Form von Wahrheitsanspruch einer vermeintlichen Realität rigoros ablehnt, ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Wer aber einen Zugang dazu findet, wird einen Heidenspaß mit dem Schund haben.
Damalige Reaktionen auf den Schund
Viel Resonanz hat es auf den Schund damals nicht gegeben. Zwar weiß ich durch Hörensagen von einer recht treuen Fan-Leserschaft, die sich im Ruhrgebiet im erweiterten Bekanntenkreis entwickelt hat; und nach der ersten Ausgabe gab es eine positive Rezension im Essener Kulturprogramm – Zeitung für freie Kulturarbeit. Wie aber der Schund in Berlin oder Leipzig, wo er ebenfalls an ausgewählten Orten ausgelegt wurde, aufgenommen worden ist, bleibt weitestgehend unbekannt. Mag sein, dass sich auch dort eine kleine, treue Leserschaft entwickelte; mag sein, dass dort so gut wie niemand Notiz von dieser besten aller Independent-Literaturzeitschriften genommen hat. Jedenfalls drang zur Redaktion eigentlich kaum irgendeine Reaktion vor. Mit einer Ausnahme.
Nach der zweiten Ausgabe gab es böse elektronische Post aus Leipzig, in der die Herausgeber einer anderen Independent-Zeitschrift durch polemische und vermeintlich beleidigende Kritik den Versuch unternahmen, den Herausgeber des Schunds vom Schreiben abzubringen. Man sagte ihm, er hätte vielleicht besser Maurer oder Kranführer werden sollen… Diese armen Leute hatten offensichtlich nichts verstanden. Und so wurden ihre unbeholfene Kritik und sie selbst transformiert und zu einem guten Teil des nächsten Schunds…
Empfehlung
Nicht nur, aber selbstverständlich auch weil ich selbst einer der Autoren des Schunds war, kann ich die Lektüre uneingeschränkt allen empfehlen, die abseitigen Humor mögen. Ich selbst finde dieses literarische Projekt nach wie vor sehr gelungen. Nicht alle Texte im Schund sind von erster literarischer Güte. Aber gerade durch das Konterkarierende der eben angesprochenen Metatexte (zu den vermeintlichen Autorinnen und Autoren) fügen sich auch diese Texte problemlos und programmatisch in das Gesamtkonzept des Schunds ein und schmälern nicht das Lesevergnügen – im Gegenteil. Ein etwaiger Mangel an literarischer Güte wird – so vorhanden – innerhalb des Schunds klar erkannt und kontextualisiert. Der Name ist nicht ganz zufällig gewählt. Nach jeder Ausgabe streift das Nachwort das Vorangegangene ab, wie eine alte Haut.
Unterm Strich werden diejenigen, die sich etwas eingehender mit dem Schund auseinandersetzen, sicher bemerken, dass das Ganze ein besser durchdachtes Konzept besitzt, als man auf den ersten Blick möglicherweise annehmen würde.
Am besten aber überlasse ich zu guter Letzt einem der Autoren des Schunds selbst das Wort. Denn wer könnte besser erklären, um was es sich bei dem Schund handelt, als ?
„Schund fällt immer dort ab, wo schwer gearbeitet wird; er ist somit zwar ein Abfallprodukt, aber doch immerhin ein Produkt. Insofern ist der Schund als ein überaus erfolgreiches und wunderbares Nebenergebnis einer normativen Ästhetik zu verstehen.
Die Texte des Schunds sind traurig; nicht unbedingt in ihrer Stimmung oder ihrem Inhalt – sondern sie selbst, als eigenständige Entitäten, sind traurig darüber, dass sie klar geschieden sind von der Welt des Schönen, dass sie ihr literarisches Dasein fristen müssen im abjekten Bereich der Literatur, in einem inneren Abgrund des Ästhetischen. Sie sind durchaus kein Kitsch, denn sie geben sich nicht etwa damit ab oder zufrieden, gewissen künstlerischen Mindestanforderungen in Geschmack, Technik und Stil nicht zu genügen; das alles ist ihnen viel zu mickrig. Nein, diese Texte machen in der herkömmlichen kaum einen Sinn und daher einfach eine eigene Welt auf, und sie scheren sich einen Dreck um die so genannte Realität, die man versucht, an sie heranzutragen. Sie glauben nicht, dass diese Realität irgendetwas mit der Wirklichkeit zu tun hat.
(…)
Der Schund ist immun gegen alle Metasprachen und Versuche der Kritik, denn er hat die eigene Parodie bereits integriert. Dem Lächerlichen und Albernen seiner selbst steht er kommentierend zur Seite, woraus im unausgesprochenen Zwischenraum das Ernsthafteste entsteht, das vorstellbar ist. Im Graben dieser Zweierbeziehung zwischen Text und Metatext ist es also schließlich immer ein Drittes, das sich auftut und unbemerkt verankert, ein parasitäres Rauschen, das vom wilden Außen ins vormals geordnete Innen strömt. „
Auszug aus „Hommage an den Schund“ von Björn Bjarne Husmans (†), in: Der Schund. Maximaler Literaturspass. Bd. 4 (= 03/08), S. 2f.
Tja, da bleibt mir nur, darauf hinzuweisen, dass der überwiegende Teil der Texte im Schund nicht ganz so theorielastig ist.
Wer sich für diese beste aller Independent-Literaturzeitschriften interessiert, dem sei ein Blick auf die entsprechende Schund-Website empfohlen. Dort kann man derzeit übrigens nicht nur die eBooks zum unschlagbaren Aktionspreis von jeweils 0,49 € erwerben, sondern auch für einen geringen Obolus die Original-Printausgaben erstehen, wie sie damals in Berlin, Leipzig und im Ruhrgebiet an ausgewählten Orten – mehr oder weniger gut versteckt – ausgelegt wurden.
Für die nähere Zukunft ist überdies ein Sammelband aller bisherigen Schund-Ausgaben als bibliophile Hardcover-Ausgabe geplant. Das wird auch schön.