Die Entwicklung des eigenen Schreibens geht in nicht ganz durchschaubaren Phasen vor sich, auf die man nur bedingt Einfluss nehmen kann. Eine unabdingbare Voraussetzung ist selbstverständlich die regelmäßige Ausübung dieser Tätigkeit. Aber dennoch gibt es immer wieder Phasen, in denen man das Gefühl hat, wesentliche Fortschritte zu machen und handwerkliche Kniffe zu entdecken, die einem zuvor noch verborgen waren. Dann wiederum gibt es Phasen, in denen hat man das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Das Geschriebene kommt einem langweilig, banal und wie die Wiederholung des Immergleichen vor. Wenn man sich in so einer Phase befindet, kann es vielleicht nicht schaden, ein paar kreative Schreibübungen zu versuchen – entweder, um wirklich etwas Neues dazuzulernen, oder möglicherweise auch nur, um sich auf diese Weise neu zu inspirieren.
1. Sei ein Kopist!
Wenn es eine Autorin oder einen Autor gibt, der Dich richtig fesselt und deren bzw. dessen Schreibstil Du überragend findest, wäre es doch schön zu verstehen, wie diejenige oder derjenige das handwerklich macht. Das ist nicht so einfach. Aber man kann sich einem Verständnis annähern bzw. die Chance des Verstehens erhöhen, indem man sich sozusagen in die Rolle dieser Autorin bzw. dieses Autors begibt. Der einfachste Weg, dies zu tun, ist, eine Passage aus einem der Bücher jener verehrten Autorin oder jenes bewunderten Autors auszuwählen, die Dich wirklich begeistert, und diese dann abzuschreiben bzw. abzutippen. Dabei sollte man versuchen, weitestgehend das Gehirn abzuschalten und sich zur schreibenden Exekutive derjenigen Worte zu machen, die die Augen von der aufgeschlagenen Buchpassage ablesen. Wenn die Passage kopiert ist, geht es daran, das Geschriebene noch einmal zu lesen und den Schreibprozess genauer zu betrachten. Waren es ungewöhnliche Wörter oder erstaunliche Wortverbindungen, die man da niederschrieb? Haftet dem Geschriebenen etwas Mysteriöses, Neues, Geheimnisvolles an, liegt ihm eine Schreibtechnik zugrunde, die man zuvor noch nicht kannte? In manchen Fällen mag die Antwort ´Ja´ lauten, in den meisten aber sicherlich ´Nein´. Man wird feststellen, dass die Autorin oder der Autor beim Schreiben Werkzeuge verwendet hat, die einem selbst auch bereits bekannt sind, die man aber vielleicht einfach bisher nicht in der vorliegenden Weise angewandt hat.
Kann man durch diese Erkenntnis dann umgehend besser schreiben? Wahrscheinlich nicht. Aber es kann motivierend sein und dazu führen, Neues auszuprobieren.
2. Konkrete Schreibvorgaben
Wenn man ausschließlich aus den Weiten des eigenen kreativen Geistes die Ideen für seine Texte schöpft, sind die Möglichkeiten potentiell unendlich. Sich unter diesen unbegrenzten Möglichkeiten dann immer wieder für genau eine zu entscheiden, kann unglaublich anstrengend sein. Zur Abwechslung kann man es mit konkreten Schreibvorgaben versuchen und sehen, welchen Effekt dies auf das eigene Schreiben hat.
Es gibt recht einfache Möglichkeiten, sich selbst konkrete Schreibvorgaben zu machen.
So kann man zum Beispiel versuchen, einen Text auf der Grundlage eines Bildes zu schreiben. Zu diesem Zweck kann man eine Online-Kunstsammlung oder -Bildersammlung besuchen und sich von Bildern inspirieren lassen. In der Regel stellen sich beim Betrachten mancher Bilder leicht Assoziationen ein und damit verbunden dann auch Ideen für eine Geschichte (oder zumindest für den Ausgangspunkt oder einen Teilaspekt der Geschichte).
Man kann sich auch mit einer befreundeten Autorin oder einem befreundeten Autor zusammentun und sich wechselseitig einen ersten Satz für die Geschichte vorgeben oder eine Liste von Wörtern, die in die Geschichte eingebaut werden müssen. Wenn man keine Freunde hat oder zumindest keine, die auch schreiben oder Lust auf eine solche Übungen haben, kann man sich auch von einem Online-Zufallsgenerator Wörter vorgeben lassen: http://www.textfixer.de/tools/zufallswort-generator.php
Die Beschränkung der Möglichkeiten beim Schreiben kann der Kreativität überraschend förderlich sein. Es lohnt sich, das einmal auszuprobieren.
3. In einer anderen Länge schreiben
Unterschiedliche Textformen stellen auch unterschiedliche Anforderungen an den Autor bzw. die Autorin. Während man sich in einem Roman viel Zeit und Raum nehmen kann, um Figuren zu entwickeln und die Handlung voranzubringen, muss man all das in einer Kurzgeschichte in viel kompakterer Form machen. Es empfiehlt sich, Erfahrungen mit möglichst vielen verschiedenen Textformen zu sammeln. Es ist zum Beispiel eine interessante Übung, den wesentlichen Inhalt eines Romans in eine Kurzgeschichte zu verwandeln. Man wird überrascht sein, wie eine radikale Verkleinerung der Form dazu führt, dass der Kern einer Geschichte herausgeschält wird, während Ausschmückungselemente beiseitegelassen werden (müssen). Das ist daher übrigens auch eine Übung, die einem helfen kann, ein gutes Exposé für einen Roman zu schreiben.
4. Die Perspektive wechseln
Ich glaube, dass die Erzählperspektive ein schriftstellerisches Mittel ist, dessen Bedeutung von vielen Autorinnen und Autoren völlig unterschätzt wird. Ich befürchte sogar, dass nicht wenige sich gar keine Gedanken über mögliche Alternativen diesbezüglich machen und ihre Geschichten ´einfach irgendwie´ aus einer bestimmten Perspektive erzählen. Und dabei wird es sich oft um ´die einfachste Lösung´ handeln. Aber wie kaum etwas anderes, ist die Erzählperspektive dazu geeignet, die Atmosphäre einer Geschichte entscheidend mitzuprägen, ja sogar die Bedeutung und Lesart eines Textes zu verändern. Deswegen sollte man sich damit als Autorin oder Autor, wenn man es ernst meint, etwas intensiver auseinandersetzen.
Eine Übung, die sich hier anbietet, ist, eine eigene Kurzgeschichte oder eine Passage aus einem längeren Werk an eine veränderte Erzählperspektive anzupassen. Es sollte sich um einen möglichst emotionalen oder dramatischen Text handeln, weil dies den Effekt einer Veränderung der Erzählperspektive deutlicher hervorhebt. Es kann nicht schaden, im Vorfeld hinsichtlich der verschiedenen Erzählperspektiven (erste Person, zweite Person, dritte Person, auktorial, etc.) und ihren Konventionen zu recherchieren, bevor man sich an die Umarbeitung begibt.
Es wird mit Sicherheit eine interessante Erfahrung sein, wie sich durch die Veränderung der Erzählperspektive die gesamte Atmosphäre der Geschichte – und möglicherweise sogar auch ihr Informationsgehalt und ihre Aussage – abändert. Und genauso überraschend können die Effekte der vorher beschriebenen Schreibübungen sein. Du wirst sehen, dass jeder neue Ansatz zu neuen Ergebnissen führen wird. Und vielleicht lernst Du dabei etwas über die Möglichkeiten Deines Schreibens, das du vorher noch nicht wusstest. Ich wünsche viele neue Entdeckungen beim Ausprobieren.
Schreiben ist Magie.