Warum es okay ist, die eigenen Texte zu hassen

Hassen Sie Ihr eigenes Schreiben? – Das kommt häufiger vor, als Sie denken. Von den Autorinnen und Autoren, die komplette Bücher von sich verabscheuen, bis hin zu denen, die bei ein paar ausgewählten Sätzen schaudern – es  ist durchaus normal, die eigene Arbeit zu hassen. In meinen beiden jüngst veröffentlichten Erzählbänden befinden sich ein paar wenige Texte, die ich vielleicht nicht unbedingt hasse – aber es befällt mich ein Gefühl leichten Unwohlseins, wenn ich an sie denke. Nicht, weil ich sie absolut schlecht finde, sondern weil ich glaube, dass sie nicht so gut sind, wie sie sein sollten.

Verbesserung des Schreibens

Das erste, was man bedenken sollte, ist, dass für viele Autorinnen und Autoren der Hass auf die eigene Arbeit ein notwendiger Schritt zur Verbesserung der Kunst ist. Man will schließlich besser werden, und Besserwerden bedeutet: das zu identifizieren und zu entfernen, was nicht funktioniert.

Ich möchte meine Sicht darauf etwas näher erläutern: Niemand sagt Autorinnen oder Autoren, dass sie noch Anfänger sind – auch wenn das für diejenigen, die es nicht mehr sind, ganz offensichtlich sein mag (und für manche Leserinnen und Leser sicher auch), wenn sie die Arbeit einer Anfängerin oder eines Anfängers vor sich haben. Mit ›Anfänger‹ meine ich hier weniger, dass jemand erst vor kurzem mit dem Schreiben begonnen hat, sondern ich bezeichne damit einen Status des Schreibens, ein Niveau, wenn man so will: einen Erkenntnisstand.

Diese Anfängerphase kann sich unter Umständen über Jahre und Jahrzehnte hinziehen. Manche – das ist auch nicht ausgeschlossen – werden sie nie hinter sich lassen. Bei mir selbst kann ich im Grunde fast alles, was ich vor meinem dreißigsten Lebensjahr geschrieben habe, diesem Anfängerstadium zurechnen. Es gibt nur sehr Weniges aus der Zeit, das ich heute erträglich finde. Das Meiste aus jener Zeit existiert nicht mehr, weil ich alle Spuren dahingehend beseitigt habe.

Alle von uns kommen zum Schreiben, weil wir etwas in uns haben, das heraus will. Aber was die Umsetzung anbelangt, ist es, als gäbe es da einen Graben, den es zu überwinden gilt. In den ersten Jahren, in denen du Sachen machst, ist das, was du machst, nicht so gut. Es ist einfach nicht so toll – auch wenn du es vielleicht zunächst als toll empfindest. Aber das, was du daran toll findest, ist im Grunde genommen nur die Tatsache, DASS du etwas geschrieben und geschaffen hast. Das WIE ist nicht so toll geworden, aber das siehst du nicht, weil du so sehr beseelt bist vom DASS. Du hältst dich für einen Schriftsteller. Das, was du in dieser Zeit schreibst, versucht, gut zu sein, es hat den Ehrgeiz, gut zu sein, aber es ist nicht so gut. Aber dein Drang, etwas auszudrücken, die Sache, die dich ins Spiel gebracht hat, deine Vorstellungen und Ahnungen von dem, was du EIGENTLICH schreiben willst, sind immer da. Und deine Vorstellungen und Ahnungen sind klar genug, dass du schließlich irgendwann sagen kannst: das, was du bisher machst – es ist eine Art Enttäuschung für dich. Du merkst, dass es – verglichen mit dem, was du eigentlich willst – immer noch irgendwie beschissen ist…

Ich nehme an, jede gute Autorin und jeder gute Autor macht das durch. Und wenn Sie gerade erst anfangen und in diese Phase eintreten, müssen Sie wissen, dass es völlig normal ist, und das Beste, was Sie tun können, ist, viel zu arbeiten. Absolvieren Sie ein riesiges Arbeitspensum. Setzen Sie sich selbst Deadlines, so dass Sie jede Woche oder jeden Monat eine Geschichte beenden. Denn nur durch unablässiges Schreiben werden Sie irgendwann den nächsten Schritt machen, und die Arbeit, die Sie produzieren, wird vielleicht irgendwann so gut sein wie Ihre Ambitionen. Es wird dauern, aber das ist normal, und Sie müssen sich da durch kämpfen. Es bedeutet 10.000 Stunden Einsamkeit, das Handwerk des Schreibens richtig zu erlernen.

Besser zu schreiben erfordert Übung, und Übung bedeutet, Texte zu produzieren. Wenn Sie Ihre Texte jetzt hassen, kann es sein, dass Sie damit recht haben, weil sie wirklich scheiße sind. Aber wenn Sie weitermachen, werden sie besser werden. Und: die Art und Weise, wie Sie über Ihre Arbeit denken, ist ein wesentlicher Bestandteil davon, besser zu werden. Es ist die Voraussetzung.

Ich glaube, Übung ist die eine Sache. Die andere Sache ist tatsächlich die Fähigkeit, einzusehen, dass das, was man schreibt, bisher noch nicht so gut ist. Oder scheiße. Eine solche Fähigkeit ist nur mit einer gewissen Reife der Persönlichkeit zu haben. Wenn ich oben sagte, dass beinahe alles von mir aus der Zeit vor meinem dreißigsten Lebensjahr nicht so besonders gelungen war, dann kann man nun sehen, wann ich eine entsprechende Persönlichkeitsreife erlangt habe. Nicht so besonders früh. Aber ich bin froh, dass sie sich überhaupt irgendwann eingestellt hat – auch wenn die damit einhergehende Erkenntnis, noch längst kein »großer Künstler« zu sein, ziemlich ernüchternd war. Aber so eine Ernüchterung gehört wahrscheinlich auch unabdingbar zur Reifung der Persönlichkeit dazu.

Und während es ein unangenehmes Gefühl sein kann, ist der Hass auf die eigene Arbeit tatsächlich aber auch ein nützliches Werkzeug, über das jemand, der mit seinem Schreiben zufriedener ist, nicht verfügt. Wahrscheinlich hat auch der Zufriedenere den Wunsch, sich noch zu verbessern, aber er fühlt die Notwendigkeit dazu nicht auf einer viszeralen, instinktiven Ebene. Möglicherweise sieht er deshalb gar nicht, dass das bisher Geschriebene noch nicht so besonders gut ist. Oder scheiße.

Der Hass auf die eigene Arbeit befreit von unangebrachtem Stolz und unangemessener Eitelkeit; er zwingt dazu, sich mit dem zu konfrontieren, was einem am eigenen Schreiben nicht gefällt, und herauszufinden, wie man es beim nächsten Mal besser machen kann.

Natürlich sollte man auch versuchen, während dieser ersten Entwicklungsphase fertige Arbeiten zu produzieren, um sich bei Wettbewerben oder Projekten zu bewerben. Selbst wenn Sie Ihre Arbeit hassen, sollten Sie jedes neue Stück immer noch als etwas zum Abschluss zu Bringendes betrachten. Wenn der Hass auf Ihre Arbeit Sie dazu bringt, aufzugeben, werden Sie nie etwas produzieren, das Ihnen gefällt. Die Entwicklung von Ideen über ihre frühen Phasen hinaus, zu etwas, das funktioniert, ist der einzige Weg.

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Leiden und Nachteil

Für einige Menschen ist der Hass auf ihre eigene Arbeit ein permanenter Zustand. Es ist kein besonders lustiger Zustand, aber es lässt sich in den meisten Fällen nicht ändern.

Einige Leute hassen ihre eigene Arbeit, weil sie einfach einen erstaunlichen Geschmack haben. Wenn man sich etwas wirklich Großartiges vorstellen kann, dann ist es vielleicht nur in seltenen Momenten oder nach einem ganzen Lebenswerk möglich, dieses Ziel annähernd zu erreichen.

Manche Autorinnen und Autoren können großartige Texte schreiben, aber sie wissen, was sie beeinflusst hat, und das vermindert für sie den Wert des Geschriebenen auf eine Weise, die für die Leserinnen und Leser nur schwer nachvollziehbar ist. Sie wissen, dass sie einen bestimmten Satz einem irgendwann einmal gelesenen Text entlehnt haben, dass ihnen manches durch Zufall in den Schoß gefallen ist, und sie können konstruierte Verbindungen und Übergänge sehen, wo für jeden anderen ein in sich geschlossener, organischer Text vorliegt.

Eine Geschichte zu erschaffen bedeutet, sie von Grund aufzubauen – jede Wendung, Entwicklung und Erkenntnis zu kennen, nicht überrascht zu sein von der Erfindungsgabe und dem Zweck des Schreibens. Vielleicht ist das ein Teil des Reizes, Schriftsteller zu sein, nämlich dass man ein klein wenig Gott ist in seiner eigenen Welt. Aber zu große Vertrautheit kann Langeweile und Abscheu erzeugen. Der eigene Text widert einen an. Nichts daran ist neu, nichts daran ist attraktiv.

Durch diese zu große Vertrautheit geht dem Autor eine Dimension der Erfahrung gegenüber dem eigenen Text verloren, die ihm seine Leserinnen und Leser voraus haben: Er ist nicht in der Lage, das eigene Geschriebene zu genießen. Er ist zu nah dran. Wir alle würden unsere eigenen Werke am liebsten genießen; aber sie sind im Grunde für andere Menschen gemacht. Darum lesen viele Autorinnen und Autoren ihre Bücher nicht noch einmal, nachdem sie sie abgeschlossen haben. Ein trauriger Autor ist, wer endlos herumsitzt und seine eigenen Werke liest.

Darin besteht die einzige Lösung: die eigene Arbeit nicht mehr zu lesen, sobald sie fertig ist, und während des Schreibens und Überarbeitens die seltenen Momente zu genießen, in denen das Geschriebene auch für einen selbst funktioniert.

Voranschreiten

In Bezug auf das Leiden durch Kunst haben Autoren es aber wahrscheinlich einfacher als viele andere Künstler. Es gibt viele Musiker, von denen erwartet wird, dass sie Musik aufführen, die sie in der Vergangenheit entwickelt haben, die sie von Anfang an gehasst haben oder die sogar als Parodie auf Songs oder Ideen gedacht ist, die sie gehasst haben. Manche Songs haben sich im Laufe der Zeit verbraucht. Oder sie passen nicht mehr zur eigenen musikalischen Entwicklung. Aber das Publikum will immer wieder diese Songs hören und fordert sie ein. Die neuen Lieder sind zwar auch ganz nett – aber nichts gegen die alten Hits. Alle können die Texte auswendig mitsingen.

Einem Autor wird wahrscheinlich niemand von der anderen Straßenseite herüber Passagen seines gehassten Romans vorlesen oder verlangen, dass er sie vorliest. Was ein Vorteil ist.

Schauspieler müssen oft Marathon-Pressereisen für Projekte bestehen, die ihnen nicht gefallen, oder sogar für solche, die sie nie machen wollten. Klaus Kinski hat die ganze Scheiße sowieso nur wegen des Geldes gemacht. Die Filme selbst waren meistens eine Tortur für ihn und sind nie so gut geworden, wie sie geworden wären, hätte er alles selbst gemacht. Diese ganzen Idioten verstehen überhaupt nichts. Und viele Komiker haben ihre Frustration über die lebenslange Verbindung zwischen ihnen und Charakteren, die sie in ihrer Jugend erfunden haben, zum Ausdruck gebracht.

Auch bei Autoren gibt es immer die Sorge, dass sie ihre Energie in ein Projekt stecken, das ihnen später nicht mehr gefällt. Es ist eine Gewissheit, dass man sich weiterentwickelt und dass das derzeitige Projekt sich irgendwann überholt haben wird. Vielleicht wird es einem sogar irgendwann unangenehm sein, so etwas geschrieben zu haben. Aber es hilft nichts. Man kann immer nur so gut schreiben, wie es einem der aktuelle Entwicklungsstand erlaubt. Wenn man nicht schreibt, entwickelt man sich schriftstellerisch nicht weiter. Man muss also Werke fertigstellen, die einem wahrscheinlich irgendwann nicht mehr besonders gut gefallen werden. Weil das, was wir dort hineinstecken, alles ist, was wir derzeit zu bieten haben. Mehr kommt vielleicht später.

Im Allgemeinen löst sich ein Projekt, sobald es abgeschlossen ist, vom Autor ab. Es existiert als eigenständige Einheit. Die Autorinnen und Autoren lassen ihre Werke hinter sich und scheren sich (im besten Falle) nicht mehr weiter um die Arbeit, die sie vielleicht schon nicht mehr mögen, während das fertige Werk sich nun in den Händen der Leserinnen und Leser befindet.

Und vertun Sie sich nicht – es wird Leserinnen und Leser geben, die es lieben werden, was Sie da fabriziert haben. Denken Sie nicht, dass, nur weil Sie Ihre eigene Arbeit hassen, alle anderen das auch tun werden. Oh nein! Ein Werk, das Sie schreiben, bevor Sie Ihren künstlerischen Höhepunkt erreichen, oder eines, das sich mit Ideen beschäftigt, die Sie später in Ihrer Karriere kindlich finden, hat immer noch einen Platz im Leben vieler Leserinnen und Leser; vielleicht sogar einen zentralen Platz. Manche Bücher, die ich (aus gutem Grund) unter geschlossenem Pseudonym veröffentlicht habe, werden in den Rezensionen nach wie vor hochgelobt und genießen die Gunst mancher Leserinnen und Leser – obwohl mir persönlich das Geschriebene nicht mehr besonders zusagt.

Denken Sie immer daran: Auch wenn Sie Ihre Arbeit hassen – Sie schreiben sie am Ende nicht nur für sich selbst. Hass auf die eigene Arbeit ist kein schönes Gefühl, aber es kann vorübergehend nützlich sein und muss Sie nicht davon abhalten, im Grunde genommen großartige Arbeit zu produzieren, die das Leben der Leserinnen und Leser bereichert.

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