Arbeitsdisziplin und Schreibroutine: Warum man regelmäßig schreiben sollte

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Wenn man freier Autor ist, muss man sich seine Arbeitsstrukturen in der Regel selbst schaffen. Sicher, es gibt hin und wieder vereinbarte Abgabetermine, die den Arbeitsdruck erhöhen, aber man entscheidet letztlich selbst darüber, wann und wie man arbeitet. Insbesondere bei größeren literarischen Projekten, die sich möglicherweise über mehrere Jahre erstrecken, braucht man einen langen Atem und eine gewisse Selbstdisziplin, um die Arbeit zu einem Abschluss zu bringen.

Kinder, wie die Zeit vergeht

Wie schnell ist nicht ein Tag vorbei, ohne dass man zur Arbeit an seinem Manuskript gekommen ist. Umso schneller, wenn man im eigenen Haushalt schreibt, zwischen Kaffeekochen, Wäschewaschen, Geschirrspülen, Staubsaugen, Einkaufen, Gassigehen und Kindererziehung. Und wie schnell ist der nächste Tag dann ebenso verflogen, und der nächste und der nächste… Wochen rasen dahin, und ehe man es sich versieht, weiß man überhaupt nicht mehr, worum es im eigenen Romanmanuskript überhaupt gehen sollte, wo die Knoten waren, die man aufzudröseln hatte, welche guten Ideen kurz vor der Umsetzung standen, welche Probleme schon beinahe gelöst waren. Man muss neu ansetzen und sich wieder einarbeiten, wahrscheinlich das gesamte bisher Geschriebene sowie alle Notizen noch einmal lesen, sich erneut einen Überblick über das bereits gesammelte und geordnete Material verschaffen. Dann hat man sich nach ein oder zwei Wochen wiedereingefunden, wieder eine Ahnung von der Stimmung des Romans bekommen, es fühlt sich wieder plastisch an, was da passiert. Dann kommen die nächsten anderen Dinge, um die man sich zu kümmern hat. Vielleicht ist es ein kaputtes Auto oder ein Familienurlaub oder ein berufliches Projekt zum Gelderwerb oder oder oder. Man hat wieder eine Menge um die Ohren und findet abends um 22 Uhr nicht mehr die Motivation, den Rechner hochzufahren und sich noch für ein oder zwei Stunden an den Roman zu setzen. Denn der Wecker klingelt am nächsten Morgen vielleicht schon um 5 Uhr oder 5:30 Uhr. Man lässt die Sache erneut ruhen. Vielleicht eine Woche, vielleicht aber auch zwei oder drei. Dann fängt man wieder an. Wo war man nochmal stehengeblieben? Wie sollte das Ganze jetzt eigentlich nochmal weitergehen? Hatte man da nicht schon eine andere Idee desbezüglich gehabt, ich glaube, auf Seite 342 oder so? – Man muss sich auf ein Neues einarbeiten. Und so vergehen ganz schnell Monate und Jahre, das Projekt kriecht voran. Die ersten grauen Haare und Fältchen werden im Spiegel sichtbar. Das sieht interessant aus; als hätte dieses Gesicht etwas zu erzählen. Aber der Roman ist noch längst nicht fertig.

Notwendigkeiten

Man kann und will alles andere nicht ignorieren, um sich nur noch dem Schreiben zu widmen und schnellstmöglich mit der Arbeit voranzukommen. Man muss Geld verdienen, der Haushalt muss einigermaßen in Ordnung gehalten werden (insbesondere, wenn man Kinder hat), man möchte Zeit mit der Familie verbringen und teilhaben an der Entwicklung der eigenen kleinen Tochter oder dem eigenen kleinen Sohn, und wenn man mit den Hunden nicht regelmäßig und ausgiebig vor die Tür geht, scheißen sie einem die Bude voll und werden depressiv. Wenn man sich um all das kümmern muss und will, wie soll das dann überhaupt mit dem Roman klappen?

Viertelstunden

Was man braucht, damit es schneller vorangeht, ist Kontinuität. Nur wer regelmäßig schreibt, kann auch wirklich produktiv sein. Nur Hobbyautoren oder Anfänger reden davon zu schreiben, wenn sie die „Muse küsst“. Auf professionelle Schreiber wirkt eine solche Aussage albern. Geschrieben wird immer – auch wenn da zunächst nichts zu sein scheint, was aufgeschrieben werden will. Schreiben bedeutet auch nicht immer Schreiben. Manchmal bedeutet es auch Nachdenken und Strukturieren, neue Ideen entwickeln, Probleme erkennen, Material sammeln und Recherchieren, Misslungenes oder Überflüssiges ausfindig machen und streichen. Wichtig ist allein, die Arbeit nicht liegen zu lassen, den Faden nicht zu verlieren, in Stimmung zu bleiben. Es ist wichtig, sich nach Möglichkeit jeden Tag mit dem Projekt zu beschäftigen. Im schlimmsten Fall ist es vielleicht nur eine Viertelstunde, die man aufbringen kann. Aber eine Viertelstunde gedankliche Beschäftigung mit dem Projekt wird vermutlich zumindest ausreichen, um den status quo nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Und wenn man Glück hat, fällt in diese Viertelstunde sogar, sofern die Umstände günstig sind, ein Quäntchen schriftstellerischer Inspiration und man schreibt tatsächlich ein paar brauchbare oder gute Sätze oder löst ein Problem.

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Die Viertelstunde als Minimum

Wirklich schnell kommt man mit einer Viertelstunde am Tag natürlich auch nicht voran, wenn überhaupt. Aber die Viertelstunde ist hier auch lediglich als Minimum gemeint. Hin und wieder sollte man natürlich auch mal ein paar Stunden aufbringen können, damit es überhaupt vorangehen kann. Aber die Viertelstunde als Minimum pro Tag erspart einem wahrscheinlich die Notwendigkeit, sich immer wieder aufs Neue in das Projekt einarbeiten zu müssen, wenn zwischendurch mal wieder Unvorhersehbarkeiten und Pflichten des Alltags eine ausgiebige Beschäftigung mit dem Projekt verhindern. Und dadurch wird eine Zeit- und Energieersparnis erreicht, die nicht zu unterschätzen ist.

Professionalisierung ist Haltungssache

Wovon hier die Rede ist, ist also eine tatsächliche Professionalisierung des eigenen Schreibens. Und damit ist zuvorderst nicht der finanzielle Aspekt gemeint, sondern zunächst einmal vor allem, die eigene Haltung gegenüber dem Schreiben zu professionalisieren: die Entwicklung einer Schreibroutine. Wenn man das eigene Schreiben ernsthaft betreiben, gar damit Geld verdienen möchte, muss das Schreiben Arbeitsalltag werden. Professionelle Schriftstellerinnen und Schriftsteller warten nicht auf den Kuss der Muse, sondern entwickeln ihre eigenen Schreibstrategien.

Individuelle Schreibstrategien

Aufgrund der eingangs geschilderten Problematik, die eigene Arbeit selbst strukturieren zu müssen, ggfls. integriert in den sonstigen (Familien-)Alltag, und aufgrund der unterschiedlichen Lebensumstände, unter denen geschrieben wird, sieht die Schreibroutine bei vielen Autorinnen und Autoren höchst unterschiedlich aus. Aber je mehr jemand sein Schreiben professionell entwickeln möchte, desto mehr Klarheit benötigt er oder sie auch in Hinblick auf die Arbeitsmethode, die am besten zum Erfolg, sprich: zum Abschluss des Manuskripts, führt. Manchmal geben die Einschränkungen des Alltags die Bedingungen vor, und man muss die Zeiten zum Schreiben nehmen, die man kriegen kann. Aber wer in der komfortablen Situation ist, sich einigermaßen frei strukturieren zu können, sollte herausfinden, welche Arbeitsstrategien die passendsten sind, zu welchen Uhrzeiten, an welchen Orten, unter welchen Umständen, wie lange und mit welchen Arbeitsmitteln er oder sie am besten schreiben kann.  Hier gibt es keine Allgemeingültigkeiten. Was dem einen Chaos ist, ist der anderen wunderbarste Ordnung. Was für die eine ein Graus wäre, können für den anderen ganz herrliche Umstände sein. Während der eine jeden Vormittag drei Stunden an seinem Schreibtisch sitzt und die Familie zur Stille anhält (Thomas Mann), der andere vor dem Schreiben drei Flaschen Weißwein trinkt, um in Stimmung zu kommen (Charles Bukowski), schreibt ein Dritter vielleicht von abends an die Nacht hindurch und bringt am nächsten Morgen noch die Kinder zur Schule, bevor er sich schlafen legt (Wolfgang Hohlbein). Und ein Vierter wiederum behauptet, es beim Schreiben zu halten wie die Handwerker: täglich von 10 bis 14 Uhr (Ulrich Wickert). Ob das die Handwerker auch so sehen würden, weiß ich nicht. Manche schreiben am liebsten in Cafés, manche zuhause, manche in den italienischen Alpen oder im Kloster.

Man sollte also nicht nur für sich herausfinden, in welchem Genre und in welcher Gattung man sich als Autorin oder Autor zuhause fühlt, sondern auch, unter welchen Schreibumständen man sich am wohlsten fühlt, wann man am produktivsten arbeiten kann. Die eigene Energie, die Arbeitsressourcen und Konzentration bestmöglich auf das aktuelle Arbeitsvorhaben zu fokussieren, darum muss es gehen. Für die Dauer der Arbeitszeit sollten dann aber alle Nebensächlichkeiten und Störungen ausgeschaltet sein. Es gibt System- und Strategieforscher, die der Ansicht sind, dass Erfolg primär nicht von Intelligenz, Begabung, Kapital oder Macht abhängt, sondern davon, die richtige Strategie zu wählen. Natürlich ließe sich nun darüber nachdenken, inwiefern wiederum die richtige Strategie abhängig ist von Intelligenz und Begabung sowie von den durch Macht und Kapital geschaffenen Voraussetzungen, um bestimmte Strategien überhaupt erst entwickeln zu können. Doch das würde hier zu weit führen.

 Fazit

Jedenfalls, es geht darum, die Produktivität zu erhöhen, indem eigene Ordnungs- und Organisationsstrukturen entwickelt werden. Es geht um Arbeitsdisziplin und darum, sich auch dann mit dem aktuellen Projekt zu beschäftigen, wenn man zunächst nicht allzu viel Lust dazu verspürt. Arbeit macht nicht immer Spaß. Und auch, wenn man glaubt, kaum Zeit dafür zu haben oder eigentlich zu müde zu sein – eine Viertelstunde geht fast immer. Wer glaubt, ein Minimum von einer Viertelstunde pro Tag per se nicht aufbringen zu können, der meint es mit dem Schreiben nicht ernst. Wer professionell sein möchte, muss auch professionell arbeiten. Idealerweise etliche Stunden pro Tag, wenn es nicht anders geht, eben nur besagte Viertelstunde.

Das hat weniger damit zu tun, sich zum Schreiben zu zwingen, sondern vielmehr damit, eine Schreibroutine zu entwickeln. Wenn sich die Lösung eines dramaturgischen Problems partout nicht einstellen will, macht es keinen Sinn, noch stundenlang auf den flimmernden Monitor zu starren. Dann ist es vernünftiger, das Ding auszumachen, eine Pause einzulegen, das Ganze bei einem Spaziergang zu überdenken oder erst einmal sacken zu lassen, vielleicht auch vorübergehend zu vergessen und erst danach noch einmal neu anzusetzen, vielleicht auch erst am nächsten Tag. Eine gewisse Schreibroutine aber wird das Aufkommen solcher Knoten und Leerläufe mit der Zeit minimieren. Man wird sich bestimmte Kreativstrategien aneignen, die immer öfter zu Lösungen führen werden. Es geht nicht unbedingt darum, viel zu schreiben, sondern das Bestmögliche. Ezra Pound (1885-1972) hat an seinem berühmten Haiku mehrere Jahre gefeilt, bis er die letztgültige Fassung hatte.

In a Station of the Metro

The apparition of these faces in the crowd;

Petals on a wet, black bough.

Ein schönes Gedicht. Aber hätte man das nicht auch, mit etwas Glück, Begabung und Eingebung, in einer Viertelstunde schreiben können?

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2 Gedanken zu „Arbeitsdisziplin und Schreibroutine: Warum man regelmäßig schreiben sollte

  1. So richtig und so häufig verkannt. Insbesondere von Menschen, die noch nie versucht haben, ein Buch zu schreiben. Man setzt sich mal einen Nachmittag hin und schreibt ein Buch, na klar 😵
    Nein, natürlich setzt man sich wochenlang täglich hin und schreibt ein Buch. Manche Projekte brauche Monate oder sogar Jahre bis zur Fertigstellung. Dranbleiben ist der Schlüssel!
    Viele Grüße
    Erin

    Gefällt 2 Personen

    1. Ja, so ist es, Erin. Ich selbst sitze sogar schon seit ca. elf Jahren an einem Romanprojekt. Und obwohl mir selbst die Wichtigkeit regelmäßigen Schreibens klar ist, gab es immer wieder zwischendurch Phasen, in denen ich das Ganze mitunter monatelang liegenlassen habe und mich nachher wieder vollkommen aufs Neue einarbeiten musste. Ich habe den Artikel also aus leidvoller Erfahrung und quasi als Mahnung an mich selbst geschrieben… ;) Ich werde versuchen, zukünftig selbst das Postulat der Regelmäßigkeit konsequent in die Praxis umzusetzen und auf diese Weise mein Romanprojekt zu einem baldigen Abschluss zu bringen. Denn wie Du so richtig sagst: Dranbleiben ist der Schlüssel!
      Viele Grüße zurück,
      Anton

      Gefällt 3 Personen

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