6 meisterhafte Tipps: Was Sie von Hitchcock über Spannung lernen können

»Es war mein Glück, eine Art Monopol auf das Genre zu haben. Niemand sonst scheint sich für die Regeln der Spannung zu interessieren.«

Alfred Hitchcock

Hitchcock wurde aus gutem Grund als ›Master of Suspense‹ bezeichnet. Er hat viele Techniken im Bereich der Spannung und des Thrillers entwickelt. Aber sein allgemeiner Ansatz gilt für alle Arten von Genres, nicht nur für Geschichten, die explizit spannend sind.

Hitchcocks Filme waren voll von Serienmördern, Spionen und mysteriösen Geheimnissen, aber wir können in seinen Arbeiten auch sehr viel feinere Methoden zur Spannungserzeugung beobachten und für unser eigenes Schreiben anwendbar machen. Hier sind also ein paar Tipps, an die man sich beim Schreiben von Spannungsliteratur erinnern sollte.

Tipp 1: Informationen

Geben Sie Ihren Leserinnen und Lesern Informationen. Man kann nicht erwarten, dass ein Leser Ängste hat, wenn er nichts hat, worüber er sich Sorgen machen müsste. Wenn Sie dem Leser sagen, dass sich eine Bombe im Raum befindet und dass sie in fünf Minuten hochgeht, entsteht dadurch Spannung. Wenn der Leser nichts davon weiß und die Bombe geht hoch, dann war er nicht gespannt, aber ist nun ziemlich überrascht und fragt sich, wie es zu der Explosion kommen konnte.

Der Unterschied zwischen Mysterium und Spannung besteht darin, wie viel der Leser im Voraus weiß. Spannung ist ein emotionaler Prozess, der die Erzählung antreibt und den Leser einlädt, immer wieder umzublättern und weiterzulesen. Ein Mysterium hingegen erzeugt eher einen intellektuellen Prozess, bei dem die Leserinnen und Leser dazu verleitet werden, über die Ursache der merkwürdigen Begebenheiten nachzudenken. Selbstverständlich kann eine Geschichte auch beide Aspekte in sich vereinen. Das wäre sicher der Idealfall, wenn es sich beispielsweise um einen Krimi oder einen Mystery-Thriller handelt (denken Sie zum Beispiel an die Bücher von Arthur Conan Doyle oder Stephen King).

Tipp 2: Kontrapunkt und Kontrast

»Spannung hat keinen Wert, es sei denn, sie wird durch Humor ausgeglichen«, sagte Hitchcock, der für seinen makabren Sinn für Humor berühmt war. In »Frenzy« mochte Hitchcock die Extreme zwischen Komödie und Horror und benutzte Humor mit großer Wirkung zwischen dem Hauptkommissar und seiner Frau. »Ich habe die Frau des Chefinspektors erfunden, um mir die Möglichkeit zu geben, die Diskussion über das Verbrechen hauptsächlich außerhalb eines beruflichen Kontextes zu führen«, sagte Hitchcock. »Und ich erzeuge diese Komik bei den Diskussionen, indem ich die Frau zur Gourmetköchin mache. Also kommt dieser Inspektor jeden Abend nach Hause, um über die Morde bei sehr reichhaltigem Essen zu diskutieren.« Ein gewisser Grad an Komödie kann einen Kontrapunkt zur Geschichte setzen und gerade durch diesen Kontrast das eigentliche Geschehen noch dramatischer machen, weil die Leserinnen und Leser auf diese Weise die Spannung in den entsprechenden Passagen noch deutlicher empfinden.

Tipp 3: Subtext

Wirklich gute Dialoge arbeiten stark mit sogenanntem ›Subtext‹. Das ist ein Begriff, der beispielsweise auch im Schauspiel eine wichtige Rolle spielt. Es ist das, was nicht gesagt wird, aber die Motivation der handelnden und sprechenden Figuren ausmacht (und möglicherweise von diesen gedacht wird, während sie sprechen). Ein Großteil des Dialogs ist dann indirekt, mit Ebenen von verborgener Bedeutung. Niemand sagt etwas Klares, und der Dialog ist gewissermaßen ›schräg‹.

In »Notorious« (dt. »Berüchtigt«) sprechen Ingrid Bergman und Cary Grant über ein Hühneressen und darüber, wer danach das Geschirr abwäscht (übrigens in Kombination mit der bis dato längsten Kuss-Szene der Filmgeschichte), aber der Subtext ist Grants Vorhaben, Bergman darum zu bitten, einen anderen Mann zu heiraten, damit sie ihn ausspionieren kann. Das eigentliche Thema von »Notorious« ist der Konflikt zwischen Liebe und beruflicher Pflicht, aber Hitchcock findet einen Weg, dies auszudrücken, ohne zu direkt zu sein.

Tipp 4: Szenerie

Lassen Sie Ihre Handlung nicht beliebig an irgendwelchen Orten stattfinden, sondern machen Sie die Szenerie zu einem tragenden Element. Im Keller ist es düster und vielleicht auch feucht, im Wald können einem bei Wind Äste auf den Kopf fallen. Hitchcock bestand darauf, dass die Szenerie in das Drama einbezogen werden muss, und machte es zur Regel, Elemente auszunutzen, die mit einem Ort verbunden sind. In »Foreign Correspondent« (dt. »Der Auslandskorrespondent«) verwendete Hitchcock Windmühlen, für die Holland ja berühmt ist. Aber sie sind nicht nur Landschaft, sie werden zu einem zentralen Teil der Handlung – eine Windmühle dreht sich in die falsche Richtung, als Zeichen dafür, wo eine Person gefangen gehalten wird.

Geben Sie Ihrer Szenerie eine Funktion; sie muss an Gewicht gewinnen – oder ersetzt werden.

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Tipp 5: Antitypische Szenerien

Vermeiden Sie gleichzeitig das Offensichtliche bzw. Naheliegende an Ihren Handlungsorten, wie z.B. die Inszenierung eines Mordes in einer dunklen Gasse oder nachts. Natürlich, manche Geschichten leben von gerade einer solchen (durchgängigen) Stimmung. Ich denke hier vor allem an Grusel-Klassiker wie »Dr. Jekyll und Mr. Hyde«, »Dracula« oder »Jack the Ripper«. Hier gehören die dunklen Gassen und entsprechende Morde in entsprechendem Ambiente selbstverständlich zum Genre mehr oder weniger notwendig dazu. Ansonsten aber sollten Sie versuchen, das Typische – um nicht zu sagen: das Klischee – zu umgehen. Hitchcock liebte den Kontrast, und er inszenierte seine makabersten Szenen oft an den scheinbar harmlosesten Orten, wie z.B. die mörderische Dinnerparty in »Rope« (dt. »Cocktail für eine Leiche« oder den Mordversuch an Cary Grants Figur in »North by Northwest« (dt. »Der unsichtbare Dritte«), der in einem von strahlendem Sonnenschein beleuchteten Feld stattfindet. Dieses Gefühl des Unerwarteten und die dadurch entstehende Vorstellung, dass jeden Moment ein Unglück passieren kann, werden Ihre Leserinnen und Leser in Spannung versetzen.

Tipp 6: Keine Klischees

Was für die Szenerie gilt, gilt auch für die Charaktere Ihrer Geschichte und die Handlung selbst. Hitchcock hat uns einige der denkwürdigsten Schurken gegeben, die die Leinwand je gesehen hat. Denn er vermied das Klischee und machte seine Schurken, wie Brandon in »Rope« oder Bob Rusk in »Frenzy«, attraktiv. Nicht alle Schurken sehen aus wie Schurken. Und nicht alle Helden sind herrlich anzuschauen. Es gibt überall Grautöne. Machen Sie Ihre Schurken attraktiv, damit sie in die Nähe ihrer Opfer kommen können, oder finden Sie einen anderen Weg, um die Erwartungen eines erfahrenen, schlauen Lesers zu untergraben. Ich habe vor kurzem die Amazon Prime Serie »Beat« gesehen, die sogar – wenn ich mich nicht irre – mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet worden ist. Dramaturgisch hätte ich durchaus ein paar Dinge zu bemängeln, aber was mich wirklich überzeugt hat, war die Figur des ›Hauptbösewichts‹. Philipp Vossberg ist wirklich ein ungemein charismatischer und einnehmender Psychopath.

Abschließend

Hitchcock folgte diesen Methoden, mit denen er immer wieder Geschichten schuf, die sich im Laufe der Zeit bewährt haben, und viele (wie »North by Northwest« und »Vertigo«) werden oft als die größten Filme aller Zeiten bezeichnet.

Denken Sie aber daran, dass auch der alte Meister nicht alles im ersten Entwurf geschaffen hat. Es braucht Zeit und Überlegung, um große Spannung zu erzeugen. Vielleicht brauchen Sie zuerst eine solide Handlung, bevor Sie das Setting mit einbeziehen können. Oder Sie müssen zunächst eine einfache Version einer Szene schreiben, bevor Sie ihr einen Subtext beigeben können. Wenn das Ergebnis am Ende stimmt, werden die Leserinnen und Leser beeindruckt sein, egal wie viele Entwürfe es braucht, um die Spannung maximal zu erhöhen.

Um noch mehr Tipps zur Erzeugung von Spannung zu erhalten, lesen Sie auch »Wie man Spannung erzeugt« und »Wie man keinen langweiligen Thriller schreibt«.

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