Glück und Trauer in Ihrem Roman – Wie Sie tiefe Emotionen darstellen können

In diesem Artikel möchte ich mich mit dem Umgang zweier einander entgegengesetzter menschlicher Emotionen in Ihrer Geschichte beschäftigen. Glück und Trauer sind sehr intensive und existentielle menschliche Erfahrungen, die bei ihrer literarischen Darstellung besonderen Feingefühls bedürfen. Manche Schriftstellerinnen und Schriftsteller neigen dazu, hier zu oberflächlichen und klischeehaften Beschreibungen zu greifen – oder sogar die Darstellung dieser Emotionen ganz zu überspringen. Dadurch verzichten sie auf die Chance, ihren Geschichten wirkliche emotionale Tiefe zu verleihen und die Leserinnen und Leser tatsächlich zu berühren.

Glück

Glück. Das ist eigentlich kein ergiebiges Thema für einen Schriftsteller. Happy people have no stories.

Konflikt ist der Treibstoff der Fiktion, der Motor, der die Geschichte vorwärts bringt. Aber wenn die ganze Zeit über ausschließlich dramatische Momente vorherrschen, sorgt das für ein unrealistisches Leseerlebnis und ein Tempo, bei dem manche Leserinnen und Leser womöglich auf der Strecke bleiben. Eine Geschichte braucht einen natürlichen Rhythmus, wie Ebbe und Flut. Daher sollte es neben den Konflikten in Ihrer Geschichte auch Momente des Glücks, der Leichtigkeit und der Freude geben.

 

Authentizität

Eine wesentliche Bedingung, um den Leserinnen und Lesern solche glücklichen Momente zu vermitteln, ist die Authentizität. Schriftsteller sollten sich bemühen, klischeehafte Sprache oder Emotionen zu vermeiden, die zu einfach oder zu offensichtlich sind. Jede Emotion, die nur oberflächlich dargestellt wird, wird die Leser nicht berühren, und das gilt besonders für Freude und Glück.

Glück, als erzählerisches Motiv, besitzt aus sich heraus nicht die gleiche überzeugende Wirkmacht wie der Konflikt, den es ausgleichen soll. Daher muss es so authentisch wie möglich vermittelt werden.

Um authentische Momente des Glücks zu schaffen, muss man sich eingehend mit den tieferliegenden Emotionen, Motivationen und Bedürfnissen der Figuren beschäftigen. Was wünschen sich Ihre Figuren am meisten? Worauf hoffen sie? Was fürchten sie vor allem anderen? Wenn Sie auf diese Ebene der Wünsche und Ängste Ihrer Figuren vordringen können, finden Sie die Substanz, um ihnen Glücksmomente zu verschaffen, die auch von den Lesern als solche empfunden werden.

Was ist der größte Traum Ihrer Figur? Was würde es bedeuten, wenn dieser Traum in Erfüllung geht? Wie würde sich die Freude Ihrer Figur in diesem Moment von der aller anderen unterscheiden? Und in welcher Weise würde sie die Freude ausdrücken? Die Worte, die Körpersprache, der Sinn für die Rhythmen des Lebens arbeiten alle zusammen, um ein völlig einzigartiges Erlebnis zu schaffen. Das ist der Schlüssel zur Authentizität.

 

Zweck

Glück als zugrundeliegendes Thema kann uns eine Fülle von Informationen über die Charaktere einer Geschichte und die Art von Welt, in der sie leben, vermitteln. Hier sind drei Beispiele:

  1. Freude kann ein primäres Storytelling-Tool sein, mit dem Autoren einen Zweck erreichen. Warum sind Tolkiens Hobbits bekannt für ihre großen Feste, ihren Hang zu Genuss und ihre Heimatverbundenheit? – Es erfüllt jeden Moment des Leidens, den die Halblinge auf sich nehmen, um Mittelerde zu retten, mit Sinn; die Liebe zum Auenland gibt Frodo etwas, wofür es sich lohnt zu kämpfen.
  2. Die übergeordnete Kultur der fiktiven Welt kann die Natur der Freude und ihren Platz im menschlichen Leben kommentieren. Aldous Huxleys »Brave New World« zeigt eine Welt des Friedens und der Harmonie, die erreicht werden konnte, weil die Menschen durch Gen-Wissenschaft in verschiedene funktionale Klassen aufgeteilt worden sind, die unhinterfragt die ihnen jeweils zugeteilten Rollen und Aufgaben in der Gesellschaft übernehmen. Alle sind gut versorgt, und es fehlt ihnen an nichts. Der Protagonist der Geschichte wächst in einer Welt ohne Konflikte auf, aber er kennt auch kein wirkliches Glück, keine tiefe und bleibende Freude, keine wirkliche Motivation. Mehr und mehr empfindet er ein Gefühl der Leere und Langeweile und begibt sich in ein Reservat, wo die verdrängten Erinnerungen seiner Kultur noch lebendig sind und ›wilde‹, unperfekte Menschen eine ursprüngliche Existenz führen, zu deren wesentlichen Bestandteilen Freude und Leid gehören.
  3. Die Überzeugungen der Charaktere über die Natur der Freude oder ihres Fehlens können uns von der Welt der Geschichte erzählen. In J. M. Barries »Peter Pan« muss man nach Neverland fliegen, um der Welt der Erwachsenenpflichten zu entkommen und einen Weg zu finden, das Glück einzufangen. In Barries Geschichte findet sich eine Meditation über die Frage nach dem Glück selbst. Ist wahre und dauerhafte Freude im Erwachsenenleben möglich? Oder muss man als Erwachsener zwischen Pflicht und Glück wählen?

 

Subversion

Szenen der Freude und Harmonie können in der Fiktion eine subversivere Rolle spielen. Leser erfassen intuitiv, wenn sich eine Phase des Glücks zu lange hinzieht oder alles einfach ein wenig zu perfekt ist. Das ist meistens ein schlechtes Zeichen und lässt Böses ahnen. Wenn Sie ein Werkzeug suchen, um bei den Leserinnen und Lesern eine böse Vorahnung heraufzubeschwören, sollten Sie es vielleicht mit diesem versuchen. Traurigkeit und Leid sind ergreifender, wenn sie durch wahres Glück kontrastiert werden.

Was ist der ›etwas zu gute‹ Moment in der Geschichte Ihrer Protagonistin oder Ihres Protagonisten, den Sie zur Erzeugung einer solchen unguten Vorahnung bei den Lesern benutzen könnten?

 

Trauer

Wird ein solches Glück durch ein schlimmes Ereignis zerstört, zum Beispiel durch einen Todesfall, müssen Sie sich als Schriftstellerin oder Schriftsteller mit der anderen Seite existentieller menschlicher Erfahrung auseinandersetzen und dieser eine passende Ausdrucksform verleihen.

In Siri Hustvedts großartigem Roman »Was ich liebte« kann man genau dies erleben. Der sorgsam entwickelte Lebensentwurf und das Glück eines New Yorker Intellektuellen-Paares, in einem ruhigen Erzählton vorgetragen, werden jäh zerstört, als der gemeinsame Sohn bei einem tragischen Bootsunfall ums Leben kommt.

Trauer ist eine sehr mächtige Kraft in der Fiktion, und es ist eine der Emotionen, die die Leserinnen und Leser wirklich nachempfinden müssen, sonst funktioniert ein wichtiges Element der Geschichte nicht. Trauer geht über Oberflächenemotionen hinaus und entsteht aus dem Kern unseres Seins. Und Trauer ist nicht von kurzer Dauer; sie ist etwas, das in einer Person oder in einer Gemeinschaft vorhanden bleibt, lange nach dem Ereignis, das sie hervorgebracht hat.

Und so führt die Trauer in Hustvedts Roman dazu, dass die Beziehung des Paares zerbricht, da beide nicht über den Verlust hinwegkommen und sich ebenfalls nicht gegenseitig auffangen und trösten können.

 

Trauer muss gezeigt werden

»Show don’t tell« (oder zumindest »show and tell«): Sie haben es sicher schon hundertmal gehört, und es ist sicher alles andere als ein innovativer Schreibtipp. Aber diese Regel ist fundamental wichtig, wenn es um kraftvolles Schreiben geht. Und für den Ausdruck von Trauer gilt dies in besonderem Maße. Trauer ist ein ›viszerales‹ Gefühl, eine Emotion, die uns bis in die Eingeweide trifft. Es ist wichtig, nicht davon zu erzählen, dass jemand Trauer empfindet, sondern zu zeigen, wie diese Figur in Traurigkeit versinkt.

Trauer ist eine Emotion, die vom Menschen vollumfänglich Besitz ergreift; alles am Menschen, der von Trauer befallen ist, wird zum Ausdruck seiner Trauer. Dies zu vermitteln, lässt sich nicht allein durch Beschreibung oder Exposition bewerkstelligen.

 

Es liegt alles an den Details

Trauer ist intensiv persönlich und nuanciert. Die Bilder, Emotionen, Erinnerungen und Implikationen, die wir spüren, wenn wir jemanden verlieren, sind speziell auf diese Person zugeschnitten; es ist eine besondere Erfahrung. Trauer ist immer einzigartig – die Art und Weise, wie man sie darstellt, muss daher aus den beteiligten Charakteren hervorgehen.

Trotz der kulturell akzeptierten (und kreativ nützlichen) Idee von verschiedenen ›Stufen‹ oder ›Phasen‹, ist Trauer nicht formelhaft, so dass die Darstellung von Trauer es auch nicht sein sollte. Es ist unwahrscheinlich, dass Sie die Zeit und den Raum haben, Ihre Charaktere zu zeigen, wie sie alle Phasen der Trauer durchlaufen. Aber der Ausdruck der Trauer verändert sich im Laufe der Zeit, und die Darstellung einer Veränderung im Verhalten der betroffenen Figur sollte eine Entwicklung sichtbar machen – sei es, dass die Figur einen Fortschritt in der Bearbeitung der Trauer erkennen lässt, sei es, dass die Figur in eine ausweglos wirkende Depression zu versinken scheint und sich von der Welt abwendet.

 

 

Abschließend

Glück und Trauer sind wesentliche Elemente eines abgerundeten, lebendigen Geschichtenerzählens.

Glück ist ein wesentlicher Teil der emotionalen Landschaft Ihrer Charaktere. Und auch, wenn das Glück einer Figur für sich alleine genommen möglicherweise keinen erzählerischen Wert besitzt, weil es – isoliert betrachtet – keine Spannung erzeugt, erfüllt es doch den Zweck, dem Leser zwischen den Konflikten Ruhepausen einzuräumen sowie diese Konflikte durch Kontrastierung noch effektiver wirken zu lassen. Darstellungen von Glück können den Lesern Informationen über die Welt der Geschichte vermitteln, und sie können sogar auf zukünftige (tragische oder konfliktreiche) Ereignisse hinweisen.

Trauer ist eine der Emotionen in einer Geschichte, für deren Darstellung es keine Tricks gibt. Man kann sie nicht ohne weiteres durch das Befolgen bestimmter handwerklicher Regeln erzeugen, und man kann diesen Gefühlszustand auch nicht auslassen, wenn ein entsprechendes Ereignis in der Handlung stattgefunden hat, ohne der Geschichte und ihrer Wirkung erheblichen Schaden zuzufügen. Wenn Sie glaubwürdige und ›menschliche‹ Charaktere entwickeln wollen, mit denen sich die Leserinnen und Leser verbinden, müssen Sie die jeweils spezifische Form ihrer Trauer zeigen. Sie müssen es schaffen, den Leserinnen und Lesern das Gefühl zu vermitteln, dass die Welt und die Menschen der Geschichte wegen des speziellen Verlustes für immer verändert sind.

 

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