Wenn der Roman eher ein Drehbuch ist

Es ist unzweifelhaft eine tolle Fähigkeit, interessante Drehbücher zu schreiben. Aber ein Roman ist etwas anderes. Ein Roman ist in erster Linie nicht die Vorlage zu einem Film, sondern ein eigenständiges Kunstwerk. Natürlich ist es der Traum beinahe jeder Autorin und jedes Autors, dass das eigene Buch später einmal verfilmt wird. Aber trotzdem sollte man versuchen, zunächst einen Roman zu schreiben und kein etwas dicker angelegtes Drehbuch.

Rein optisch fällt es nicht schwer, diese beiden Formen voneinander zu unterscheiden. Das Drehbuch ist wesentlich dünner als ein Roman, es hat oft einen zentrierten Text, schreibt manche Wörter in Großbuchstaben und gibt in Klammern Regieanweisungen.
Abgesehen von den oberflächlichen und formalen Unterschieden, können durch eine bestimmte Art der Gestaltung eines Romans zwei verschiedene Kunstformen auf eine ungünstige Weise miteinander vermischt werden. Es ist zwar nicht per se schlecht, wenn man sich von den visuellen Eindrücken des Mediums Film inspirieren lässt, aber dabei darf man eben nicht vergessen, dass ein Roman kein Film ist und überwiegend mit anderen Mitteln arbeitet.

1 Dialoge

Einen Roman mit wenig oder gar keinem Dialog zu schreiben, ist eher ungewöhnlich. Direkte Rede kann zu einem großen Teil dazu beitragen, dass Figuren lebendig werden und an Plastizität gewinnen. Insofern ist es also nicht nur ungewöhnlich, sondern vielleicht auch nicht besonders ratsam, auf das Mittel des Dialogs im Roman völlig zu verzichten. Aber während im Film Dialoge wesentlich sind, um den Zuschauern Informationen mitzuteilen, gibt es im Roman dafür noch andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel innere Monologe („stream of consciousness“) oder Einlassungen eines auktorialen Erzählers etc. Für ein Drehbuch sind Dialoge unerlässlich, um die Figuren zum Leben zu erwecken, für den Roman sind die Dialoge dahingehend nur eine von mehreren Optionen. Ich spreche hier wohlgemerkt von den Unterschieden zwischen Roman und Drehbuch, nicht zwischen Roman und Film. Denn beim Film kommt noch die audio-visuelle Dimension hinzu, so dass es auch hier mehrere Möglichkeiten gibt, dem Publikum Informationen über das Innenleben einer Figur zu geben.

Wenn ein Roman, ähnlich wie ein Drehbuch, jedoch beinahe ausschließlich aus Dialogen besteht, kann das problematisch werden. Ein gutes Beispiel ist dafür meines Erachtens das Buch „Sophia, der Tod und ich“ von Thees Uhlmann. Die Figuren reden sehr viel, aber machen dafür umso weniger. Besonders deutlich ist das geworden, als dieses Buch für das Theater adaptiert worden ist. Die SchauspielerInnen reden miteinander, und sobald ihr Text zu Ende ist, stehen sie einfach in der Gegend herum und haben nichts zu tun. Das ist zwar in gewisser Weise lustig, aber sollte eigentlich gar nicht lustig sein, befürchte ich. Es ist nur einfach so, dass die literarische Vorlage nicht viel mehr hergibt.
Es geht also darum, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Dialogen und anderen, die Handlung vorantreibenden Elementen bzw. Mittel des Romans anzustreben, damit die Geschichte sich nicht vollends ins Nichts verflüchtigt, sobald man die Sprechblasen der Figuren imaginativ platzen lässt.

2 Skizzenhaftes Setting

Der Drehbuchautor hat mit dem Szenenbild und dem Stimmungsaufbau durch eine entsprechende Inszenierung in der Regel nicht viel zu tun, weil sich darum beim Film nachher die Produktionsdesigner, Bühnenbildner, Kameraleute und Regisseure kümmern. Als RomanautorIn hat man es nicht so leicht. Man muss selbst dafür Sorge tragen, dass die LeserInnen vor ihrem geistigen Auge eine möglichst runde Vorstellung von dem Setting, in dem eine Szene stattfindet, erhalten. Das muss man nicht unbedingt so ausführlich machen wie ein Dickens, ein Tolkien oder ein Zola, aber die LeserInnen müssen wissen, wo die Handlung gerade spielt, wie die Atmosphäre dort ist und welchen Einfluss die örtlichen Gegebenheiten auf die Figuren und ihr Agieren haben. Wenn all dies nur skizzenhaft angedeutet wird, werden die LeserInnen kaum wirklich in die Geschichte eintauchen können.

3 Unausgeschöpftes Potential

Wenn man der Handlung nicht genügend Raum und Zeit gibt, um sich zu entfalten, bleibt die Geschichte skizzenhaft. Es entsteht kein Sog, Leserin und Leser interessieren sich nicht für die Geschichte, können vielleicht den scheinbar sprunghaften Verlauf einer Handlung nicht nachvollziehen. Es gibt keinen Grund, beim Schreiben eines Romans durch die Geschichte zu eilen. Im Gegensatz zum Drehbuch, das durchschnittlich etwa 110-120 Seiten lang ist, hat man im Roman alle Zeit und allen Raum der Welt, um die Geschichte auszuschmücken. Man kann ruhig an manchen Orten der Geschichte etwas verweilen, die Figuren zusätzliche Überlegungen anstellen, nebensächliche, aber interessante Begebenheiten stattfinden lassen. Natürlich sollte man es damit auch nicht übertreiben und auf alles, was der eigentlichen Geschichte nicht dienlich ist, sondern – im Gegenteil – von dieser ablenken könnte, verzichten. Aber die Entscheidung darüber, wieviel Ausschmückung der Geschichte gut tut, obliegt letztlich jedem Autor und jeder Autorin selbst. Es wird sicher LeserInnen geben, die der Meinung sind, Tolkien hätte sich an manchen Stellen ruhig etwas kürzer fassen können. Genauso wird es LeserInnen geben, die noch viel mehr von seinen ausschmückenden Beschreibungen lesen könnten, bevor dann die eigentliche Handlung weiter fortgesetzt wird. Jedenfalls: Wenn man einen Roman schreibt, kann man eine Welt erschaffen. Diese Möglichkeit sollte man nicht ungenutzt lassen.

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4 Regieanweisungen

Eine Geschichte funktioniert am besten, wenn man den LeserInnen nicht alle Informationen haarklein vorgibt. LeserInnen brauchen genügend Freiraum, um ihre eigenen Vorstellungen zu entwickeln. Wie man in einem anderen Artikel lesen kann, gilt das in besonderem Maße für Sexszenen, aber prinzipiell auch für alle anderen Handlungen, die Figuren in einem Roman vornehmen können. D. h., man sollte sich mit allzu konkreten physischen Anweisungen zurückhalten, um die LeserInnen nicht unnötig in der Entwicklung der eigenen Imagination zu stören.

5 Mögliche Gründe

Woran kann es liegen, dass der eigene Roman vielleicht mehr Ähnlichkeiten mit einem Drehbuch hat, als einem lieb ist? Diesbezüglich lässt sich natürlich nur spekulieren.
Es könnte zum Beispiel sein, dass der Wunsch, das Buch fertigzuschreiben, so groß ist, dass man sich nicht die Zeit gibt, bestimmte Stellen oder Aspekte in wünschenswerter Ausführlichkeit auszuarbeiten, weil man ´schnell durchkommen´ möchte.

Ein anderer Grund könnte sein, dass man sich zwar sehr wohl damit fühlt, Dialoge zu schreiben, sich aber mit Fließtext-Prosa eher schwertut.

Zu Regieanweisungen, wie oben angedeutet, bei denen explizit und detailliert vorgegeben wird, was die Figuren auf welche Weise physisch tun, könnte der Grund darin liegen, dass die Autorin bzw. der Autor sichergehen möchte, richtig verstanden zu werden und im Kopf der LeserInnen genau das Bild zu erzeugen, das sie selbst auch im Kopf haben. Dabei ist das gar nicht nötig.

Und schließlich könnte es daran liegen, dass man schlichtweg nicht genügend Bücher liest bzw. gelesen hat und darum nicht weiß, wie Bücher funktionieren. Das ist zwar kein besonders schmeichelhafter Grund, aber dennoch ist es nicht auszuschließen. Der oben erwähnte Autor Thees Uhlmann gehört zum Beispiel (nach eigener Aussage) in diese Kategorie – und das merkt man seinem Buch eben leider auch an. Man merkt es, wenn die Inspirationen und Einflüsse eher aus dem Konsum von Filmen oder Netflix-Serien stammen als aus der Lektüre von anspruchsvoller Belletristik, sei es klassische oder zeitgenössische Literatur. Wenn man mehr Filme oder Serien sieht als dass man Bücher liest, wird man unbewusst zwangsläufig eher durch das Erstere beeinflusst werden als durch das Zweite. Und wenn man lernen möchte, wie man gute Bücher schreibt, macht es mehr Sinn, gute Bücher zu lesen, als Filme zu schauen. Logisch, oder?

Ich fürchte, dass viele junge SchriftstellerInnen heutzutage dazu inspiriert werden, Geschichten zu schreiben, weil sie viele Filme und Serien gesehen, aber nicht weil sie viele Bücher gelesen haben. Nicht, dass ich etwas gegen gut gemachte Filme oder Serien hätte – ganz im Gegenteil. Aber wie man gute Romane schreibt, lernt man am ehesten, wenn man viele gute Romane liest – und dann schreibt, schreibt, schreibt.

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3 Gedanken zu „Wenn der Roman eher ein Drehbuch ist

  1. Ja ich sehe gerne gute Filme und Serien. Und ja, sicher hatten sie einen Einfluss auf meine Romane. Als Autor ist mir wichtig, Ziele für ein Buch vorab zu definieren. Zum Beispiel: Ich wollte unbedingt gesellschaftskritische Themen in meine Geschichten einfließen lassen und ich glaube, das ist mir gut gelungen, und zwar für die breite Masse. Ich würde meinen, ein Drehbuchautor hätte es nicht schwer mit meinem Buchtitel “unaufgefordert“. Was kann für ein Werk entstehen, wenn ein Kinofan, wie ich es bin, ein Buch schreibt ;-)
    Lesegrüße aus Katzelsdorf
    Günter Huber

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  2. Als Leser bevorzuge ich Romane wie NICEVILLE von Carsten Stroud oder FALL von Candice Fox. Als Autor (ENDLICH ABGEDREHT! / KEIN LAND IN SICHT), der während seiner jahrzehntelangen Tätigkeit bei Film- und Fernsehproduktionen X Filmdrehbücher kalkuliert hat, vermeide ich grundsätzlich Ausschmückungen und Längen. Treffsicherheit und Dichte bringen spannende Unterhaltung. Sprache spiegelt Zeitgeist und gute Drehbücher sind oft fesselnder konstruiert als so mancher Roman der in meinen Wandregalen verstaubt.
    „Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler!“
    (Helmut „RTL“ Thoma).
    Wünsche eine schöne Woche!

    Gefällt 1 Person

    1. Vielen Dank für den Kommentar, Günter. Längen zu vermeiden, ist grundsätzlich richtig. Es ist aber natürlich – wie bereits angesprochen – sicher eine Frage des individuellen Lesegeschmacks, was als Länge empfunden wird und was nicht. Ansonsten bleibt weiterhin festzustellen: ein Drehbuch ist ein Drehbuch, und ein Roman ist ein Roman. Und die Geschmäcker der Fische sind vermutlich ebenfalls verschieden…
      Dir auch eine schöne Woche!

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